Sunshine

Die moderne Menschheit strebt seit ihrem Anbeginn nach der Unsterblichkeit. Spirituell als auch physisch. Mag der Tod aus evolutionärer Sicht der Motor aller Entwicklungen des Lebens sein, kann der Mensch sich im allgemeinen nur schwer mit der Tatsache arrangieren, daß sein Leben einmal enden wird. Der Glaube an der Auferstehung, der Wiederkehr in einem anderem Körper, dem Leben nach dem Tod auf einer spirituellen Ebene zeugen von dieser genetisch festgelegten Angst vor dem Ende. Sollte es dem wissenschaftlichen Fortschritt der Menschen tatsächlich einmal gelingen die biologische Lebensuhr anzuhalten und damit die physische Unsterblichkeit zu erlangen, wird nach heutigen Erkenntnissen dennoch in spätestens fünf bis sechs Milliarden Jahren zumindest in unserem Sonnensystem kein Leben mehr möglich sein. Dann soll die Sonne, deren Licht und Wärme Grundlage allen biologischen Lebens wie wir es heute verstehen ist, erlöschen. In Danny Boyles Science Fiction Film Sunshine kommt aber alles anders und früher.

2057, aus unerfindlichen Gründen nimmt die Kraft der Sonne ab. Der Erde droht ewige Eiszeit, der Menschheit das Ende ihres Fortbestandes. Um dies zu verhindern hat sie alles spaltbares Material der Erde in einer Bombe von der Größe Manhattans vereinigt und mit der Ikarus II auf eine Reise zur Sonne geschickt, um mit der Explosion eine Kettenreaktion auszulösen, die der Sonne neues Leben einhauchen soll. Kurz nachdem die Ikarus II die Zone erreicht, in der eine Kommunikation mit der Erde nicht mehr möglich ist, passiert sie den Merkur. Der erweist sich als Überbringer eines Funksignals, das sich als Notruf der sieben Jahre zuvor mit gleicher Mission wie die Ikaraus II gestarteten, jedoch offensichtlich gescheiterten Ikarus I herausstellt. Die Crew entscheidet den Kurs der Ikarus II zu ändern, zwei Bomben erhöhen die Aussichten auf ein gelingen der Mission. Doch wer das Genre kennt, weiß genau, daß ein Notrufsignal im Weltraum nichts Gutes verheißt und so fordert der Kurswechsel schnell sein erstes Opfer. Bei der Kurskorrektur vergißt Navigator Trey die Hitzeschilde des Raumschiffes ebenfalls neu auszurichten. Während der Reparatur der dadurch hervorgerufenen Schäden läßt Captain Kaneda sein Leben. Zusätzlich wird der Sauerstoffgarten des Raumschiffes zerstört, eine Rückkehr der restlichen Crewmitglieder zur Erde ist damit erst einmal unmöglich. Auf der Ikarus I angekommen muß die Crew feststellen, daß das Raumschiff fluguntauglich ist, da der Bordcomputer offensichtlich manipuliert wurde. Desillusioniert und enttäuscht möchte man auf die Ikarus II zurückkehren, doch derjenige, der die Mission der Ikarus I manipulierte, setzt nun alles daran auch Ikarus II scheitern zu lassen.

Boyles Film scheint auf dem ersten Blick lediglich ein sinnlich fotografierter und mit vielen Zitaten des Science Fiction Kinos gespickter Genrebeitrag, der in erster Linie an seiner partiellen Vorhersehbarkeit, seinen vielen Logikfehlern und der teils schleppenden Inszenierung krankt. Doch verbirgt sich bei genauerer Betrachtung hinter dem Altbekannten, den Verweisen, ein weitaus universellerer Subtext. So erzählt er doch im ersten Teil vom immer währenden Konflikt zwischen der Ratio und menschlicher Fehlbarkeit, bevor sie im Finale zum Kampf gegen die Spiritualität übergeht. Sunshine kann man nur schwerlich in Worte fassen, bildet die auf dünnem Eis wandelnde Handlung erst im Zusammenspiel mit den hypnotisierenden Bildern der Sonne ein höchst philosophisches Drama, das sich immer wieder der Symbolik unserer abendländisch christlichen Welt, als auch der griechischen Mythologie bedient. Als ob Boyle, der Theatermensch, Garland mit einem Buch beauftragt hätte, das ihm erlaubt die klassische Tragödie in den Weltraum zu versetzen. Das fällt dann jedoch narrativ so ungewöhnlich aus, daß es dem Zuschauer erst gelingt die Geschichte des Filmes zu erfassen, wenn er bereit ist seine gewohnte Sichtweise über den Haufen zu werfen. So muß man sich von der Vorstellung befreien, daß der Film einzelne Personen als Protagonisten und Antagonisten in die Arena wirft. Boyles Vorliebe für Konflikte innerhalb einer Gemeinschaft (→ Shallow Grave, Trainspotting, The Beach) wird hier jedoch auf den Konflikt zwischen zwei Gemeinschaften ausgeweitet. Wobei die Besatzung der Ikarus II für die moderne an die Ratio glaubende westliche Gemeinschaft steht. Dagegen vertritt die Besatzung der Ikarus I, die alte mysthisch religiöse Gesellschaft, die sich dem Willen von Göttern unterwirft und jegliches Aufbegehren gegen das Schicksal als Anmaßung der Menschheit gegenüber Gott betrachet. Cappa und Pinbaker sind lediglich die Personifizierungen dieser grundsätzlich verschiedenen gesellschaftlichen Denkmodelle, die nur schwer in Einklang zu bringen sind. In Boyles Darstellung liegt die Zukunft der Menschheit in der Ratio, doch ist er, wie schon erwähnt, nicht so blind auch auf die Fehlbarkeit des Menschen hinzuweisen. So darf der einfache, jedoch nur mit Opferbereitschaft wieder reparable Fehler des Navigators bei der Neuausrichtung des Kurses der Ikarus II als Sinnbild für die nicht zu unterschätzende Gefahr der Überheblichkeit des Menschen betrachtet werden, wie sie außerhalb Boyles Films im Einsatz der Atombombe in Hiroshima oder Nagasaki, in Umweltkatastrophen wie Tschernobyl oder Harrisburg zum Ausdruck kommt. Dagegen ist Boyles Bild der religiös bestimmten Gesellschaft der Ikarus I einfach nur apokalyptisch. Da ist nur noch Staub und Tod zu sehen, keine Hoffnung auf Überleben. Pinbaker selbst bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, mit verbrannter Haut und das Verderben bringend, auf der Basis des Glaubens, nicht des Wissens. Manipulierend, sabotierend, hinterhältig. Ganz und gar nicht gütig oder milde, wie sich die Religion gerne selbst darstellt. Doch muß hier nicht unbedingt eine grundsätzliche Abneigung Boyles gegen die Spiritualität gesehen werden, immerhin läßt er auch der Besatzung der Ikarus II ihre religiösen Momente, wenn er Schiffsarzt Searle auf dem Obversationsdeck die spirituelle Kraft des Sonnenlichts oder die Crew die Schönheit des Merkur erfahren läßt. Vielmehr stellt Pinbaker den Fanatismus einer ausschließlich religiös bestimmten Gemeinschaft dar. Die aufgrund ihrer Dogmen stagniert, die ihr den Antrieb nehmen. Ikarus I schwebt nicht umsonst still im Raum, ihre Fluguntauglichkeit ist ein nicht minder starkes Bild wie die Zerstörung des Sauerstoffgartens als Folge der überschätzten eigenen Fähigkeiten auf der Ikarus II.

In dem Moment in dem Pinbaker die Ikarus II betritt, wandelt sich der Film selbst zu einem Monster. Die zuvor von der räumlichen Kamera geprägten Bilder wechseln zu Detailaufnahmen, die zuvor langsamen Schnitte werden immer hektischer, dem Zuschauer wie der Besatzung droht der Überblick abhanden zu kommen, während Pinbaker die Kontrolle über das Raumschiff an sich zieht. Erst nachdem Capper den Kampf mit Pinbaker gewonnen hat, er sich nicht auf seine Seite hat ziehen lassen, was er ohne die Unterstützung der anderen Crewmitglieder, die dabei ihr Leben lassen, nicht geschafft hätte, werden die Bilder wieder klarer und ruhiger. Dann darf die Bombe gezündet werden und über den unbeschreiblich schönen Bildern der pulsierenden Sonne und tanzenden Fusionen legt sich John Millars fantastischer Score. Die Ratio hat den Kampf mit der Spiritualtität gewonnen ohne sie aber gänzlich auszulöschen. Denn Capper, bis gerade eben noch die Ratio in Persona, erfährt endlich zusammen mit dem Zuschauer seinen religiösen Moment. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Ende des Filmes weniger den allgemeinen Erwartungen bedingtes Happy End als versöhnliche Botschaft. Danny Boyle ist in diesem Augenblick ein ganz Großer.

8/10 Punkte

13 Kommentare:

Rajko Burchardt hat gesagt…

Genau!

tumulder hat gesagt…

Wie genau denn?;)

Rajko Burchardt hat gesagt…

Genau so.

Würde fast alles so unterschreiben. Bei mir hat der Film halt leider total nachgelassen auf DVD, aber im Kino war das Ding ein audiovisueller Hochgenuss.

tumulder hat gesagt…

Oh ja, das stimmt natürlich. Ist halt das Schicksal eines jeden audiovisuell geprägten Filmes. Ich habe ihn jetzt aber endlich auf meinem neuem Fernseher gesehen und da gewann er im Vergleich zur Sichtung auf meinem alten Röhrenfernseher wieder ungemein. Dabei ist mein neuer Fernseher noch nicht einmal eines von diesen stromfressenden 37 oder 42 Zoll Monstern.

Rajko Burchardt hat gesagt…

Selbst auf meinem 37 Zoll LCD, DTS-Verstärker und Upscaling kam der Film nicht mehr rüber. Aber macht nix, hab ihn zwei Mal im Kino gesehen und gut ist.

Anonym hat gesagt…

nehmt euch doch eine schwerelose Kabine:-)

C.H. hat gesagt…

Ich teile deine interpretatorischen Gedanken zum Film, die ich sehr überzeugend finde. Leider gilt das für "Sunshine" nicht im selben Maße. Sicher, visuell ist der Film eine wahre Wucht, tolle Bilder soweit das Auge reicht.

Was mir in der ersten Hälfte des Films so wahnsinnig gut gefallen hat, war das Konfliktpotential das sich zwischen den Mitgliedern der Besatzung aufbaut und entlädt. Diesen Aspekt hast du ja auch völlig zu Recht heraussgehoben. Leider rückt dieser Konflikt, der so wunderbares Zentrum des Films war, dann mit dem Auftauchen des Bösewichts in den Hintergrund. Im Angesicht der äußeren Bedrohung schließen sich die verbliebenen Crew-Mitglieder der Icaraus II wieder zusammen, um ihre Mission zu erfüllen - Und ab dem Zeitpunkt ist mir der Film dann ein wenig zu vorhersehbar und er wird spürbar uninteressanter. Nichts desto trotz aber natürlich ein spannender und guter Sci-Fi Film...

Anonym hat gesagt…

Als ich aus dem Kino kam dachte ich: "neben The Core der schlechteste Sci-Fi Film, den ich je im Kino gesehen habe".
Aber so unterscheiden sich die Geschmäcker eben :-)

tumulder hat gesagt…

Und ab dem Zeitpunkt ist mir der Film dann ein wenig zu vorhersehbar und er wird spürbar uninteressanter.

Kann ich durchaus nachvollziehen. Zumal Du ihn ja aus der Perspektive des Micro Konfliktes zwischen den Crewmitglieder betrachtest. Aber ich würde ja Boyle jede Befähigung zum Theaterintendanten absprechen, wenn ich in diesen Konflikten den Plot der Handlung suchen würde. Diese Konflikte sind ja dermaßen rudimentär inszeniert, daß man kaum von Konflikten sprechen kann. Da fragt man sich schon ob das jetzt alles ist. Insgesamt handelt die Crew der Ikarus doch recht homogen. Selbst als es darum geht ein weiteres Crewmitglied sterben zu lassen. Trey wird ja nicht aus Rache für seinen Fehler ausgesucht, sondern aus reiner Logik. Ich sehe hier eher, daß die Vernunft jegliche Konflikte innerhalb der Crew unterdrückt, sie werden ja gar nicht ausgespielt. Der Widerstand gegen einzelne Entscheidungen währt nur ganz, ganz kurz. Auf der Ikarus II herrscht die Vernunft.

C.H. hat gesagt…

Diese Konflikte sind ja dermaßen rudimentär inszeniert, daß man kaum von Konflikten sprechen kann

Ja, vielleicht habe ich dann in der Folge durchaus zu viel erwartet, denn die Oberflächlichkeit ergibt sich ja erst aus der fehlenden Intensivierung dieses Aspekts im Zuge der fortschreitenden Spieldauer. Aber ich möchte auch wirklich nicht zu viel "meckern", denn summa summarum mag ich den Film ja doch ;-)

tumulder hat gesagt…

Deine Kritik ist ja durchaus berechtigt. Nicht umsonst zähle die Schwächen des Filmes auf. Ich kann mir vorstellen, daß Boyle Garlands Drehbuch ein wenig entschärft hat. Z.B. mit Treys Suizid, den ich als Ausdruck Boyles Gemäßigtheit interpretiere. Hätte er Trey durch ein Crewmitglied töten lassen, wäre der Makel eines ausschließlich durch Logik bedingten Handelns wesentlich stärker in den Fokus der Handlung gerückt. Vielleicht ist Boyle nicht extrem genug, um ein dauerhaft Großer zu werden.;) Und aus Deiner Sichtweise darf man schließlich ruhig einen Punkt von der Bewertung abziehen.

Flo Lieb hat gesagt…

Also bei mir hatte der Film auf DVD nochmal dazu gewonnen. Im Kino war ich von Pinbaker und dem folgenden EVENT HORIZON Zitat doch etwas überrumpelt, da die Elegie der vorherigen Bilder nun unterbrochen war. Das harmonierte in meinen Augen bei der DVD-Sichtung dann besser. Mir gefällt auch die schöne Zeichnung der Figuren, auf der Homepage zum Film kann man noch weitere Ausführungen von Garland zu diesen lesen. Das hilft dann nochmals zum Verständnis des Filmes bzw. der Aktionen, welche von den Figuren getätigt werden. Ein sehr sehr guter Film und Boyle ist ja ohnehin klasse. Für mich ist er schon ein "dauerhaft Großer" und mit SLUMDOG scheint ihm ja auch wieder was Großes gelungen zu sein.

tumulder hat gesagt…

Ich bin ja Boyle Fan seitdem ich Shallow Grave im Rahmen einer Filmnacht zusammen mit Nightwatch im Gladbecker Gemeindehaus (?) gesehen hatte. Kurz vor oder nach Trainspotting. Und ich bin heilfroh, daß er Hollywood ziemlich schnell den Rücken kehrte, um wieder Filme nach seinem Gusto zu drehen. Der Trailer zu Slumdog deckt sich zumindest visuell mit den bisherigen Kritiken.;)

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