Surreal - Ghosts of Citè Soleil

Zwei Wochen Dominikanische Republik im vier Sterne Hotel All Inclusive kosten heute nicht mehr als zwei Monatsmieten für eine 70 qm Wohnung im Vorort einer deutschen Großstadt. Da kann man es sich dann gut gehen lassen. Sonne, Meer und weißer Strand. Der Pool Boy bringt die Pina Colada an die Liege und das allabendliche Buffet ist auch nicht von schlechten Eltern. Kurzum, das karibische Paradies ist käuflich. Kaum vorzustellen, daß keine Flugstunde entfernt Menschen gerade mit Lehmkeksen ihren Hunger unterdrücken. Haiti ist der andere Teil der Insel Hispaniola an deren Küste einst Christopher Columbus aufschlug auf seiner Suche nach einer neuen Route nach Indien. Es ist eines der unterentwickelsten Länder der Erde. Armut, Gewalt und Chaos haben hier eine Dimension angenommen, deren Ausmaß sich der Wohlstandsbürger in Europa nur schwer vorstellen kann. Zu surreal wirken die ab und an gezeigten Bilder in den Nachrichten als daß man sich eine wirkliche Vorstellung der Lebensumstände der Menschen in Port-au-Prince und im besonderem dessen Armutsghetto Cité Soleil machen könnte.

Der dänische Dokumentarfilmer Asgar Leth begleitete zusammen mit Milos Loncarevic die zwei Brüder „2Pac“ und „Bily“ im letzten Jahr vor Präsident Aristides Rücktritt im Februar 2004. Dieser finanzierte inoffiziell Gangsterbanden, sogenannte Chimères, die für eine Gewisse Ordnung in den Armenvierteln sorgen aber auch die politische Opposition mittels Gewalt im Zaum halten sollen. 2Pac und Bily sind zwei der Bandenanführer, sie wissen, daß gerade dieses undemokratische Vorgehen ihr Land immer weiter ins Chaos stürzen lassen wird, andererseits sehen sie für sich keine andere Überlebenschance da es für sie kein Zurück mehr gibt. Die Vorteile, die ihnen ihre Positionen als Gangsterbosse geben, sie selber würden sich wohl eher als Bürgermeister mit polizeilichen Aufgaben beschreiben, können sie unter keinen Umständen um ihres eigenen Lebenswillens und dessen ihrer Angehörigen aufgeben. Aber eigentlich wären sie viel lieber erfolgreiche Musiker wie ihr großes Vorbild Wyclef Jean, der bekanntlich aus eben dieser Lebenshölle Cité Soleil stammt und mittlerweile ein weltweit anerkannter Künstler ist. Er war es auch, der die Realisation des Filmes erst ermöglichte und einen großen Teil des Soundtracks beisteuerte.

Asgar Leths Dokumentation könnte leicht dem Vorwurf der Spekulation und der Subjektivität erliegen. Die penetrante Handkamera, die Interviews bei Kerzenschein mit bekifften Gangstern, die unglaublichen Bilder des Chaos. Allzu schnell will man dem allem keinen Glauben schenken, denn Schnitt und Sound passen eher zu Meirelles City of God als zu einer Dokumentation über ein Armenhaus der Welt. Dagegen sprechen aber immer wieder die Episoden in denen die politischen Verhältnisse auf Haiti dargelegt werden und die Opposition Aristides zu Wort kommt. Es ist gerade diese Ambivalenz, die Ghosts of Citè Soleil so verstörend wirken läßt. Die aufzeigt, daß die Welt nicht einfach in Gut und Böse einzuteilen ist, denn der Sturz Aristides bedeutet für die beiden Brüder den sicheren Tod, entzieht er ihnen nicht nur ihre Lebensgrundlage sondern auch die fragile Legalität ihres Status. Nur schwerlich läßt sich über die beiden Brüder richten, denn die konventionellen Moralvorstellungen unserer heilen Welt lassen sich nicht 1:1 in dem von Leth dokumentierten Szenario umsetzen. Es geht hier nicht darum was moralisch ist, es geht darum wie und ob man überlebt. So ist Leths Film nicht einfach nur ein Zeitdokument sondern auch gleichzeitig eine Parabel über die Komplexität der politischen und sozialen Brennpunkte unserer Erde.

7/10 Punkte

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