
Marjanes Geschichte beginnt in den Unruhen des Jahres 1978, zur Zeit der Revolution gegen den Schah von Persien, dessen Sturz die Jahrzehnte lange Diktatur im Land beendete und deren folgende freie Wahlen die nächste gesellschaftliche und politische Katastrophe in Form der islamischen Revolution einleiteten. Marjane wächst in einer liberalen Mittelschichtfamilie auf, deren Werte sich aus heutiger Sicht an die unserer westlichen Welt orientieren. Freiheit, Gleichberechtigung und Emanzipation sind das Credo der Satrapis, die immer mehr unter den Restriktionen des neuen theokratischen Regimes zu leiden haben. Vor allem die Frauen der Familie spüren die Auswirkungen am deutlichsten, plötzlich dürfen sie sich nicht mehr ohne Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit bewegen, kontrollieren Sittenwächter und Polizei die Einhaltung der von der Regierung erlassenen und für religiös befundenen Verhaltensregeln. Doch auch der erst kurz zuvor aus dem Exil nach Teheran zurückgekehrte Onkel befindet sich alsbald in politischer Gefangenschaft. Der jahrelange Krieg mit dem Irak verschlimmert die Situation weiter, man verliert Freunde, Bekannte, zerstörte Häuser und Träume. Die Ideologisierung der Gesellschaft schreitet mit großen Schritten voran. In so einer Welt soll Marji, wie sie liebevoll von ihren Eltern genannt wird, nicht aufwachsen, und als die ersten ernsthaften Probleme durch Marjanes Aufbegehren gegen das System entstehen, entschließen sich ihre Eltern dazu sie nach Wien auf die französische Schule zu schicken.
Es dauert keine zwei Minuten und man versteht warum sich Satrapi und Paronnaud dafür entschieden haben Marjis Geschichte als handgezeichneten Animationsfilm zu realisieren. Warum sie sich für den gleichen einfachen Zeichenstil des Comics entschieden haben, der anfangs so kindlich daherkommt und an längst vergangene Kinderserien erinnert. Es ist der Ausdruck künstlerischer Freiheit, der Unangepaßtheit an das System, der auch ein gutes Stück Satrapis rebellischem Geist symbolisiert. Zum anderem ermöglicht er aber auch eine Fülle von visuell künstlerischen Möglichkeiten, die sich in einem Realfilm nur schwerlich hätten realisieren lassen, die doch aber für den Charme und Witz die Geschichte so wichtig sind. Wie schnell künstlerischer Ausdruck in reinem Selbstzweck enden kann, ist nicht erst seit Jeunet oder Chan-wook bekannt. Hier ist er jedoch mit Marjis Geschichte ebenso verknüpft, wie die politischen Umstände ihrer Heimat mit ihrer Identität. Läßt er die Erzählung doch immer wieder den richtigen Ton treffen, die melancholische, opportune wie auch optimistische Geschichte samt ihren Figuren ein eigenständiges, unverwechselbares Leben entwickeln, in dessen Mittelpunkt unumstritten Marjanes Gefühls- und Seelenleben steht. In großen Schritten wird die Geschichte vorangetrieben, mit Nebensächlichkeiten hält sich Satrapi ebenso wenig auf, wie der Zeichenstil mit ablenkenden Details. Längen sind für Persepolis ein Fremdwort, und doch bietet der Film einige sehr intensive Momente, die weniger Tränen evozieren, als den Zuschauer auf den Boden der Ernsthaftigkeit zurückholen. Bei aller humorvollen Herangehensweise, Persepolis ist keine Dramödie, es ist ein Drama, das aus der Geschichte seiner Protagonistin kein Drama macht, wohl aber die Geschichte ihrer Heimat, und damit auch die Geschichte der Menschen in ihrer Heimat als Tragödie darstellt. Es ist gerade diese Vielschichtigkeit des Filmes, die ihn so faszinierend macht. Die Vielschichtigkeit, die vor allem durch Satrapis Erzählkunst erreicht wird. Ein politischer Film, der für Freiheit und Menschlichkeit plädiert, dies an Alltagserfahrungen und ganz normalen Bedürfnissen fest macht und ebenso von großen und kleinen menschlichen Tragödien berichtet. Die Verknüpfung mit Satrapis Coming of Age Geschichte erdet die politische Botschaft letztens Endes und macht sie selbst für den letzten Ignoranten so greifbar. Persepolis ist ein kompletter Film, der trotz seiner für so manchen gewöhnungsbedürftigen Form großes Erzählkino darstellt, trotz seiner politischen Wurzeln nicht eine Sekunde manipulativ oder dogmatisch erscheint, und der sogar den einen oder anderen magischen Moment bereit hält. Sofern man sich auf ihn einläßt, was aber aufgrund seiner mitreißenden, liebenswürdigen Geschichte nicht so schwer fallen sollte.
8,5/10 Punkte
7 Kommentare:
Hab ich mich um einen halben Punkt verschätzt.
Hast Du ihn schon gesehen? Und was macht schon ein halber Punkt aus? Bei mir ist alles über 7,5 Punkte absolut sehenswert.;)
Nein, habe ich nicht. Glaube aber dem allgemeinen Tenor, dass es ein sehenswerter Film ist.
Kann ich mich nur anschließen. Hab ich zufällig am Wochenende gesehen und war begeistert.
macht Lust den endlich auch mal zu sehen
@jmk
unbedingt^^
macht Lust den endlich auch mal zu sehen
Dem würde ich mich anschließen wollen...
Kommentar veröffentlichen
Kommentare zu Blogeinträgen, die älter als sieben Tage sind werden weiterhin von mir moderiert. Sei freundlich, fair und bleib beim Thema.