Die Klapperschlange

1988 steigt die Verbrechensrate in den Vereinigten Staaten um vierhundert Prozent. Die ehemals freie Stadt New York wird das einzige ausbruchsichere Gefängnis des Landes. Umgeben wird dieses Gefängnis von einer zwanzig Meter hohen Mauer, welche entlang der Küste von New Jersey über den Hudson River bis zur Küste von Brooklyn führt. Sie umgibt ganz Manhattan Island. Alle Brücken und Wasserstraßen sind vermint. Die Polizei der Vereinigten Staaten ist wie eine Armee um die Insel herumstationiert. Innerhalb des Gefängnisses gibt es keine Wächter sondern nur Gefangene und eine Welt, die sie selbst geschaffen haben. Die Regeln sind einfach: wer erstmal drin ist kommt nicht wieder raus. 1997 – Heute:

Manhatten ist ein einziger Ort der Verwahrlosung, der Anarchie, der Zerstörung. Graffitis, Bauruinen, Ratten, Müllberge, nur erleuchtet vom Flackern der brennenden Fässer, deren Licht sich auf den regennassen Straßen spiegelt. Im Untergrund sammeln sich die Crazies, die am Monatsende, wenn die Essensrationen ausgehen, die die Gefängnisverwaltung über dem Centralpark abwirft, auch gerne mal einen Happen Menschfleisch zu sich nehmen. Auf der Oberfläche lauern andere marodierende Banden, wer den Mut hat den Broadway zu betreten wird von einem Mob Wahnsinniger mit Steinen, Pfeilen und Brandsätzen begrüßt. Über allen herrscht der Duke, diese Karikatur eines majestätischen selbstherrlichen Oberpimps. Sein weißer Cadillac, von Kristallleuchtern geziert, zeugt von seinem Anspruch "A Number One" zu sein. Der Duke residiert in der verfallenen City Hall, umgeben von einem unterwürfigen Haufen von Gangmitgliedern. Man darf ihm nicht begegnen, das soll den sicheren Tod bedeuten. In dieser Welt überlebt nur der Stärkere, die Schwachen müssen sich ihre Nische suchen und sei es das alte Theater in dem einige Gefangene es doch noch irgendwie schaffen eine Aufführung auf die Beine zu stellen. Doch tummeln sich auch schon in seinem Keller die apokalyptischen Auswüchse in Form von sadistischer Gewalt und Elend.

Mitten in dieser Vorhölle der Degeneration stürzt die von Terroristen entführte Air Force One des US-Präsidenten in einen Wolkenkratzer. Er selbst kann in letzter Sekunde mit der Rettungskapsel das Flugzeug verlassen, gerät jedoch in die Hände der Gefangenen, die jeden Befreiungsversuch seitens der Polizeikräfte mit seinem Tod bestrafen werden. Zwanzig Sekunden geben sie Sicherheitschef Hauk an der Absturzstelle um den Rückzug anzuordnen. Innerhalb der Mauern Manhattans hat der Arm des Gesetzes schon längst nichts mehr zu melden. Snake Plissken, der ehemalige Elite-Soldat und jetzige Outlaw, soll am selben Abend seine lebenslange Haftstrafe antreten. Hauk macht ihm das einmalige Angebot ihm die Freiheit zu schenken, sollte er es schaffen, den Präsidenten innerhalb vierundzwanzig Stunden aus der Geiselhaft zu befreien. In vierundzwanzig Stunden beginnt die Weltfriedenskonferenz und der Präsident ist im Besitz einer Audiokassette auf der Informationen zur Kernfusion enthalten sind, ein weiterer Krieg könnte damit verhindert werden. Bei Nichterfüllung des Auftrags droht Snake der Tod mittels zweier Sprengkapseln, die Hauk ihm perfiderweise injizieren ließ. Der Countdown tickt unaufhaltsam runter, für Snake Plissken, den Präsidenten der USA und die Welt.

Der Film lebt wie bei einem Carpenter Streifen zu erwarten vor allem von seiner Atmosphäre. Carpenters spartanischer Synthiescore verschmilzt förmlich mit den düsteren Bildern Dean Cundeys, dessen Arbeit auch schon zuvor bei Halloween und The Fog für die außergewöhnliche unterschwellige Bedrohung sorgte. Dunkel sind sie, gerade zu Anfang ist man geneigt an den Helligkeits- und Kontrasteinstellungen des TV herumzudoktern, bis man feststellt, daß die Gesichter in der Überwachungszentrale tatsächlich nur von den Monitoren beleuchtet werden. Die Dunkelheit ein wichtiges Stilmittel Carpenters darstellt. Hell ist es nur in den klinisch sauberen Fluren des Sicherheitskontrollzentrums auf Liberty Island und später während den wenigen bei Tageslicht spielenden Szenen. Die Welt 1997 ist kein erleuchteter Ort, es herrscht ewige Nacht, erst recht innerhalb der Mauern des Gefängnisses, in dem Snake Plissken, dieser lediglich Oneliner zischende Antiheld über den Carpenter ebenso wenig Konkretes verraten möchte wie über die restliche Welt, die weitere Führung des Films übernimmt. Durch den von Comic Legende Jean Giraud designten Big Rotten Apple von einer kurzen Begegnung zur anderen hetzt. Carpenter ständig mit der Erwartungshaltung des Zuschauers spielt, ob er Snake anfangs auf die Femme Fatale treffen läßt, der Bekanntschaft im weiteren Verlauf jedoch keine weitere Beachtung schenkt, mit der Figur des Cabbie, gespielt von Ernest Borgnine, dem alten Veteranen des von Carpenter so verehrten alten Hollywoods, eben jenem Hollywood noch einmal Einlaß in seinem modernen Film gewährt oder den Präsidenten ein feiges Etwas sein läßt. Da ist er wieder, dieser Carpenter, der sich immer schon dem kulturellen und ideologischen Mainstream verweigerte, ohne dies an die große filmische Glocke zu hängen. Dessen Filme, ob gut oder schlecht, immer aus der Masse heraus stechen. Der Meister der Auslassung, der die Ausmalung seiner Geschichten der Fantasie des Zuschauers überläßt und sich gezielt auf das Wesentliche konzentriert. Der die Chuzpe hat selbst in einem als Actionfilm propagierten Thriller der Action lediglich so viel Raum zu gewähren wie unbedingt nötig. Sie obendrein im Finale auf der Brücke vielleicht auch noch schludrig, zumindest aber gelangweilt, inszeniert. Keine Szene, kein Dialog zu viel. Als ob er endlich zum großen Schlußgag kommen möchte, der Snake Plissken und ganz bestimmt auch John Carpenter dann doch noch allumfassend charakterisiert. Großartig.

8,5/10 Punkte

4 Kommentare:

C.H. hat gesagt…

Das kann ich so unterschreiben... ;-) Toller Film! Einer meiner liebsten von Carpenter.

tumulder hat gesagt…

Ganz knapp hinter das Ding und kurz vor Assault, dem Prolog zum Film.;)

Anonym hat gesagt…

Ganz große Klasse! Muss ich mir endlich mal die DVD besorgen...

tumulder hat gesagt…

Aber ja nicht die SZ Ausgabe, die ich mir damals nur auf Anraten einer Amazonbewertung (mein Gott wie blöd man doch sein kann;)) zugelegt hatte. Zwar korrektes Bildseitenformat, aber das Bild ist lediglich o.k. für einen Röhrenfernseher. Steel Book Edition ist angesagt, ob ein fast 30 Jahre alter Film eine BluRay rechtfertigt sei dahingestellt.;)

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