Fast Forward >> Shivers

David Cronenberg ist einer meiner absoluten Lieblingsregisseure. Es gibt nicht viele seiner Zunft, die es wie er verstehen psychischen Horror in physischen Deformationen und Destruktionen darzustellen. Die dabei so provokant, skurril, fast immer auch grotesk vorgehen, ohne in der Exploitation zu enden. Cronenberg ist in diesem Metier ein Meister, seine Filme sind immer auch ein tiefer Blick in die menschliche Seele, spielen mit den unausgesprochenen Ängsten und Verlangen der Menschen. Natürlich ist auch Shivers, Cronenbergs erster als abendfüllend geltender Film, von diesen für ihn so typischen Aspekten erfüllt. Das Zittern erfaßt hier den luxuriösen und weitestgehend autarken Starliner Appartement-Komplex auf einer Insel vor den Toren Montreals. Eigentlich wollte der pensionierte Wissenschaftler Hobbs einen Parasiten entwickeln, der im Einklang mit dem menschlichen Körper lebt und dabei die Aufgaben kranker Organe übernimmt. Doch irgendetwas ist dabei schief gelaufen, der Parasit entwickelt ein unerwünschtes Eigenleben und verwandelt die Versuchperson Annabel Brown offensichtlich zu einem promisken Vamp. Schnell kommen der Hausarzt St. Luc und Hobbs Forschungspartner Linski dahinter, daß der Parasit die sexuellen Gelüste seiner Wirte zur Fortpflanzung seiner selbst forciert. Bevor sie etwas dagegen ausrichten können ist schon die Mehrheit der Mieter des Wohnkomplexes von dem Parasiten befallen. Die, die sich der sexuellen Übergriffe der Nachbarn erwehren, haben genretypisch nur eine geringe Chance auf die Unversehrtheit ihrer Körper. Am Ende stirbt auch Linski, und St. Luc taumelt auf der Flucht vor der großen Orgie durch die anonymen Flure des Gebäudes, bis er sich schließlich auch nicht mehr vor dem Zungenkuß seiner mit dem Parasiten infizierten Freundin im olympianormkonformen Schwimmbecken des Luxusanwesens retten kann. Wer jetzt ein schlüpfriges Sexploitation Ripoff Romeros Nacht der lebenden Toten oder Crazis erwartet, steht aber im falschen Gang der Videothek. Cronenbergs Film ist zwar nicht wesentlich impliziter als die meisten Exploitationer seiner Zeit, auch hier geht es ziemlich blutig, ekelig und alles andere wie in einem Sonntagnachmittagsfilm zu. Doch differenziert sich schon Cronenbergs Art der Inszenierung im wesentlichen durch ihre Nüchternheit von den üblichen Verdächtigen und erzeugt so einen tiefgründigen Horror, der sich schon bald als wunderbare Groteske über die Angst vor einer sexualisierten Gesellschaft herausstellt, deren Plotauflösung er sich bis zum Abspann aufspart. Wer aber schon zuvor genau hinschaut, wird bemerken, daß die zombiesken Sexualtäter ihre Opfer gar nicht töten, daß die tötlichen Verletztungen, die die Opfer erleiden, durch ihren Widerstand selbstverschuldet sind. Der deutsche Titel Parasiten-Mörder wieder einmal reine Spekulation. The Situation is normal, verkündet der Nachrichtensprecher im Autoradio, das Land wird nicht von einer Welle sexueller Übergriffe heimgesucht, die Hysterie erweist sich als unbegründet. Ein Schelm dieser Cronenberg, der mit seinen Filmen den Blick der Menschen auf die Welt verändern möchte.

7/10 Punkte

2 Kommentare:

Rajko Burchardt hat gesagt…

Ja, da steckt thematisch eigentlich schon alles drin. Nur mitunter noch nicht ganz ausformuliert. Mag den sehr, mehr auch als RABID, der ebenso noch recht stark von Romero inspiriert scheint.

Und dann kam ja auch bald schon THE BROOD, Cronis erster richtig großartiger Film.

tumulder hat gesagt…

Ist auf jeden Fall ein kleiner Leckerbissen, dem es lediglich ein wenig an Stringenz fehlt. Der Humor ist aber schon wirklich toll von Cronenberg eingebaut. Ich weiß ja nicht ob es Zufall war, aber selbst einen Verweis auf das Gezeter über Pasolinis Salo meine ich entdeckt zu haben.:D

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