Staatsfeind Nr. 1. Dazu braucht es schon etwas mehr als 39 zugegebene Straftaten. Jacques Mesrine war in den 1970er Jahren Frankreichs Staatsfeind Nr. 1. Ein Status, den er sich mit zahlreichen Banküberfällen, Morden, Gefängnisausbrüchen und einer fragwürdigen medialen Präsenz über Jahre hinweg erarbeitete, und der 1979 schließlich in seiner Hinrichtung durch die Polizei auf offener Straße mündete. Geboren wurde Mesrine 1935 als Sohn einer bürgerlichen Familie, in der Kindheit und Jugend wegen seiner Aggressivität aufgefallen und von der Schule verwiesen. Mit 19 schon verheiratet und nur ein Jahr später wieder geschieden, um dann in den Algerienkrieg zu ziehen. Eines der dunkelsten Kapitel französischer Kolonialgeschichte, dessen Unmengen an Opfern auf beiden Seiten zu finden sind. Vor allem in der Zivilbevölkerung, die unter der unglaublichen Brutalität französischer und algerischer Militärs und Untergrundorganisationen zu leiden hatte. Ein schmutziger Krieg, der ohne Zweifel das Verhältnis eines Menschen zu Recht und Unrecht beeinflußt, die Moral eines Menschen prägt. Die Moral ist das Resultat des selbst Erlebten, der eigenen Erfahrung, der eigenen Wünsche. Ein interessantes Kapitel in Jacques Mesrines Biographie, von Richet jedoch nur in einer kurzen Szene anfangs des Filmes angedeutet. Für den Zuschauer, der eine psychologische Analyse der Figur Mesrine erwartet, vielleicht eine Enttäuschung, für einen Regisseur, der die Figur Mesrine in keinem Fall als eine tragische darzustellen versucht, eine weise Entscheidung. Und so beginnt Richets filmische Rekonstruktion eines Verbrecherlebens, die jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder vollkommene Wahrheit erhebt, mit Mesrines Rückkehr aus eben jenen Krieg, der Frankreich noch so viele Jahre politisch fordern wird und dessen Wunden bis heute noch in der französischen Gesellschaft immer wieder aufplatzen.
Richet spult Mesrines Verbrecherkarriere in schnellen Schritten ab. Verläßt sich dabei auf die chronologische Abfolge einschneidender Erlebnisse und Gegebenheiten in Mesrines Leben. Von den ersten Kontakten mit der Pariser Unterwelt bis hin zu seiner Haftstrafe in Kanada, die er von sich aus mit einer gewagten Flucht aus dem Hochsicherheitsgefängnis beendet. Vom kleinen gewitzten Einbrecher bis hin zum skrupellosen Mörder im Gewand eines idealistischen Freibeuters, der er natürlich nie wirklich war. Dessen Anschein er sich jedoch gerne in der medialen Öffentlichkeit bediente. Richet zeichnet das Bild eines Mannes, dessen Respekt und Loyalität man sich sicher sein kann, solange man auf seiner Seite steht. Das kennt man natürlich aus der Filmwelt Scorceses oder Copollas. Doch verweigert Richet dem Zuschauer weitestgehend eine Identifikation mit seiner Hauptfigur, indem er es vermeidet, zwischenmenschliche Beziehungen und Konflikte über das erzählerisch Notwendige hinaus darzustellen. Überhaupt läßt er dem Zuschauer viel Freiraum zur Interpretation Mesrines Lebensgeschichte und Wesen. Wie er schon in der Anfangsszene Mesrines Erlebnisse in Algerien nur andeutet, spart Richet im großen Rahmen Mesrines direkte oder indirekte Verbindungen zur rechten Szene der Untergrundorganisation OSA aus. Da bietet der Film lediglich Puzzlestücke in Form des Unterweltboßes Guido, der vom mittlerweile gesetzten Gerard Depardieu mit einer beachtenswerten Zurückhaltung im wahrsten Sinne des Wortes verkörpert wird. Vom anfangs eingeschlagenen Erzähltempo weicht Richet die vollen 115 Filmminuten nicht ab, hält dabei immer wieder kleine Überraschungen für den Zuschauer bereit. Szenen entwickeln sich anders, als man es erwarten könnte, was Mordinstinkt trotz seiner durchaus konventionellen Art überaus kurzweilig und spannend hält. Selbst im letzten Drittel des Filmes, das Mesrines menschunwürdige Isolationshaft im kanadischen Staatsgefängnis ausführlich dokumentiert, und in der schon eine unterschwellige Kritik an den Staat, der sich seine Feinde selbst erschafft, gesehen werden kann, ändert Richet nicht den Rhythmus seiner Erzählung, die ein abruptes Ende findet. Ein Cliffhanger, der den Appetit auf den zweiten Teil deutlich in die Höhe treibt. In dem sich der einstige Ganove zu einem militanten Schwerstverbrecher gewandelt haben wird.
Richet siedelt die Figur Mesrines irgendwo zwischen Genreklischee und ernsthafter Charakterstudie an. Immer wieder durchbricht die gefährliche, durchaus als psychopathisch zu bezeichnende Seite Mesrines den Gangstermythos, den Richet ebenso gerne und oft in seinen Film Einzug halten läßt. So entsteht letztens Ende eine sehr ambivalente Haltung des Films gegenüber der Hauptfigur, die sie zwar nicht als menschliches Monster darstellt, jedoch auch immer wieder Mesrines überaus kriminelle Natur in den Vordergrund stellt. Getragen wird der Film, trotz aller erzählerischen Lücken, von einem gnadenlos stringent aufspielenden Vincent Cassel, der es ebenso versteht den charmanten und geheimnisvollen Herzensbrecher zu geben, wie auch den impulsiven, kaum einzuschätzenden Schurken. Mit seiner Darstellung erinnert Cassel an die großen Darsteller des französischen Kinos. Belmondo, Ventura und auch Delon schimmern da immer ein wenig durch, doch versucht Cassel keinesfalls eine Kopie zu sein. Das ist schon alles sehr selbstständig. Nicht zuletzt ist Mordinstinkt dann auch einfach nur schön anzusehen. Richets Spiel mit den Farben, gerade zu Anfang, wenn er das Pariser Milliue in Rot und Blau, gleich den Leuchtreklamen auf dem Boulevard de Clichy in Montmartre, taucht und damit einen Kontrast zur bürgerlichen Welt der elterlichen Wohnung setzt. Die ambitionierte Kamera, der es immer wieder gelingt nicht in überflüssiger Spielerei abzudriften, auch wenn sie sich einige Male knapp davor bewegt und ein ganz starker Score, der vor allem dadurch auffällt, genau das zu erzeugen, wofür er im jeweiligen Moment gedacht war. Meistens dient er zur Unterstützung der Spannung, hält sich aber weitestgehend im Hintergrund. Das alles läßt Public Enemy No. 1: Mordinstinkt zu den starken Filmen des noch jungen Kinojahres 2009 gehören. Wer dem klassischen Gangsterkino ebenso wenig abgeneigt ist wie dem klassischen Erzählkino, der kann hier ganz beruhigt die Kinokarte lösen. Man darf gespannt sein, ob Todestrieb, so heißt der zweite Teil, die Versprechen Richets einlöst. Der wahren Brisanz des Stoffes wird er nicht mehr aus dem Weg gehen können, so wie es ihm hier noch zu gelingen scheint.
8/10 Punkte
4 Kommentare:
Den wollte ich mir vielleicht am We ansehen,bin auf jeden Fall gespannt. Leider läuft der hier in Hannover nur zu völlig beschissenen Zeiten...
Leider läuft der hier in Hannover nur zu völlig beschissenen Zeiten...Egal, sieh zu, daß du ihn im Kino zu sehen bekommst. Allein wegen der wunderbar verrauchten Hinterzimmer.;)
Ja, wirklich sehenswertes Kino. Ich komme zwar noch nicht ganz über Cassels unpassende Synchronstimme hinweg, aber die Bio von Mesrine - das ist ein Stoff, der ist fürs Kino gemacht!
Schönes Review das Appetit macht. Der wird also wohl fällig sein nicht zuletzt da auch ich Cassel für einen phänomenalen und vielseitigen Schauspieler halte.
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