Requiem

Michaela Klingler beginnt trotz ihrer vor Jahren schon diagnostizierten Krankheit gegen den Willen ihrer strengen Mutter das Studium der Pädagogik in Tübingen. Ein Jahr hat sie schon durch die „Sache“ verloren. Schnell freundet sich Michaela mit Hanna an, die sie noch aus der Oberstufe des Gymnasiums kennt. Während Michaela Hanna davon überzeugen kann das Studium und ihr Leben ernster zu nehmen sorgt Hanna dafür, daß Michaela immer mehr zu einer selbstbewußten jungen Frau wird und die angenehmen Dinge eines Studentenlebens genießt. Doch dann holt Michaela auf einer Wallfahrt in Italien die Krankheit wieder ein. Früh morgens allein im Essensaal der Herberge hat sie einen erneuten Anfall als sie den auf den Boden gefallenen Rosenkranz aufheben möchte. In die von den Ärzten verschriebenen Medikamente legt sie keine Hoffnung, vielmehr sucht sie nach Antworten auf ihr Leiden in ihrem Glauben. In der fiktiven Heiligen Katharina von Biasca, der Michaelas Überzeugung zufolge eine ähnliche Prüfung Gottes auferlegt wurde. Nach einem weiterem Anfall kann sie ihre Krankheit vor Hanna nicht mehr verheimlichen, die ihr rät einen Arzt aufzusuchen. Ihrem Freund Stefan erzählt sie weiterhin nichts von ihrer Epilepsie, die mittlerweile auch Halluzinationen bei Michaela hervorruft. Die Ärzte verschreiben Michaela neue Medikamente und raten ihr in einem Schreiben, welches an ihre Heimatanschrift adressiert ist, zu einer psychiatrischen Behandlungen, da der Verdacht einer Psychose besteht. Doch der Vater verheimlicht das Schreiben, da Michaelas Studium eh schon von ihrer Mutter lediglich geduldet wird. Stattdessen sucht Michaela Rat beim Pfarrer ihrer Gemeinde, der ihr jedoch auch nur raten kann einen Psychiater aufzusuchen. Michaela, die nie gelernt hat die Krankheit als Teil ihres Lebens anzuerkennen, gibt sich auch mit seinen Rat nicht zufrieden. Sie ist nicht verrückt. Die Stimmen sind nicht nur in ihrem Kopf, sie sind echt, können nur von außen kommen.

Es ist ein wohl überlegter Zug Hans-Christian Schmids nicht das Schicksal der Anneliese Michel detailliert nachzustellen, sondern ihren Fall lediglich als Vorlage für seinen Film zu betrachten. An der filmischen Sensation der Teufelsaustreibung, des Krankheitsbildes der Epilepsie mit der einhergehenden Psychose und vielleicht auch schizophrener Symptome hat er kein sonderliches Interesse. Ihm geht es vielmehr um die genaue Betrachtung der Umstände, die dazu führten, daß eine junge Frau sich dem Wahn hingibt von Dämonen besessen zu sein und schließlich an den Folgen ihrer Erschöpfung durch Unterernährung und dem Streß mehrerer großer Exorzismen stirbt. Über ihren Tod erfährt der Zuschauer lediglich von einer Texttafel am Ende des Filmes, was zur inszenatorischen Zurückhaltung Schmids paßt. Schmid erzählt in kleinen Momentaufnahmen, kleinen Gesten, von einer übervorsichtigen Mutter, läßt die Religiösität der Klingler nur zaghaft in Erscheinung treten. Sicherlich, die Teilnahme an einer Wallfahrt und die Begeisterung für Heiligenerscheinungen war auch schon in den 70er Jahren für eine einundzwanzigjährige Frau nichts Übliches, doch dürfte der Verdacht einer psychischen Krankheit auch heute noch auch bei nicht sonderlich unaufgeklärten Menschen auf Ablehnung treffen und auch einem Tischgebet braucht man nicht grundsätzlich mit Argwohn begegnen. Ganz langsam läßt Schmid seine Hauptfigur in den völligen Wahnsinn treiben, für den der Regisseur in erster Linie die Betroffene selbst verantwortlich zeichnet. Er traut sich niemanden aus Michaelas Familie oder engeren Umfeld direkt an ihrem Schicksal zu beteiligen. Stellt den Exorzismus als von den Eltern und Geistlichen als letzte Hoffnung Michaela zu helfen dar. Glaubt man den Aufzeichnungen und Berichten der tatsächlichen Geschehnisse ergibt sich jedoch ein ganz anderes Bild, in dem ein religiös fanatisches Umfeld die junge Frau geradezu in ihrem Wahn bestärkte. So muß man Hans-Christians Schmids Requiem auch völlig losgelöst vom wahrem Schicksal Anneliese Michels betrachten, was natürlich in der Kenntnis des echten Falles nur schwerlich möglich sein wird. Da bleibt dann zwar immer noch das behutsame, mit glänzender Bildsprache vermittelte Drama einer Frau, die sich nicht mit ihrer Krankheit abfinden mag, das bei dem Versuch der Enge des kleinbürgerlichen Elternhauses zu entkommen die typischen Züge einer Coming of Age Geschichte annimmt und gleichzeitig von dem Tabu der psychischen Krankheit in der unaufgeklärten jedoch rechtschaffenen Provinz erzählt. Das dem Zuschauer durch Distanziertheit eigene Interpretationen des Geschehens überläßt. Dennoch macht es sich Schmid zu einfach wenn er auch am Ende des Filmes die beobachtende Position nicht aufgibt. Denn zuvor kokettiert er in einer Szene, vielleicht auch ungewollt, dann doch mit dem Übersinnlichen als Michaela ihren Freunden beweisen möchte von Dämonen besessen zu sein und sich ihre Hand tatsächlich bei dem Versuch das an der Wand hängende Kruzifix zu berühren verkrampft. Was nicht so recht zum restlichen Film passen will und in Anbetracht der Milde, in der Schmid das religiöse Umfeld Michaelas zeichnet, einen schalen Nachgeschmack hinterläßt. Das Schauspielerensemble kann hingegen voll überzeugen, allen voran natürlich Sandra Hüller, die Michaela eine ungeheure Glaubwürdigkeit mitgibt und auch in den wirklich schweren Szenen gerade zum Ende des Filmes nicht einmal ins Overacting zu verfallen weiß. Desweiteren fällt auch die Leistung Imogen Kogges auf, die den Unterschied zwischen geschauspielter Gefühlskälte und echten selbst unterdrückten Gefühlen einer Mutter zu ihrer Tochter sehr genau zu kennen scheint. Von daher ist der schauspielerische Aspekt des Films wesentlich beeindruckender als der inhaltliche.

6,5/10 Punkte

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Er traut sich niemanden aus Michaelas Familie oder engeren Umfeld direkt an ihrem Schicksal zu beteiligen.

Was heißt trauen? Er zeigt Michaela doch als Person, die auf Grund ihrer Liberalität von ihrer erzkonservativen und dominanten Mutter und damit von der ganzen Familie isoliert lebt. Diese Isolation, verbunden mit de facto nicht vorhandenen interfamiliären zwischenmenschlichen Bindungen hat ihre psychische Krankheit ja noch weiter verstärkt.

Stellt den Exorzismus als von den Eltern und Geistlichen als letzte Hoffnung Michaela zu helfen dar.

Ihr Vater wie auch der alte Pfarrer haben ja erst nach langem Ablehnen in ihrer Verzweiflung dem Exorzismus zugestimmt.

ergibt sich jedoch ein ganz anderes Bild, in dem ein religiös fanatisches Umfeld die junge Frau geradezu in ihrem Wahn bestärkte.

Ist doch im Film auch so dargestellt. Wo wir z.B. wieder bei der Mutter wären, die ja religiös fanatisch scheint und Michaela damit (siehe auch oben) noch "kranker" gemacht hat.

Ansonsten stimme ich Dir größtenteils zu, auch wenn ich den Film ein wenig stärker einschätze.

tumulder hat gesagt…

Ja, durch die Freiheit, die Schmid dem Zuschauer läßt sind Deine Sichtweise nachvollziehbar. Ich fand die Familie Michaelas dennoch ein wenig zu "normal" dargestellt. Was nicht heißt, daß Schmid unbedingt auf De Palmas Carry Spuren hätte wandeln sollen. Ich hätte mir gewünscht, daß er einfach ein stärkeres religiöses Umfeld gezeichnet hätte. Z.B. läßt er die Tatsache vollkommen aus, daß ein völlig fanatischer Rosenkranzbeterkreis an der Uni in Tübingen die echte Anneliese Michel in ihrem Vermutungen vom Teufel besessen zu sein bestärkte und es so ihren Freunden kaum möglich machte, sie von einem Krankheitsbild zu überzeugen. Natürlich, das hätte den vom Drehbuchautor und Schmid angestrebten Kontrast zwischen Michaelas Elternhaus und der Uni verwässert. Hätte meiner Meinung nach aber viel dazu beigetragen zu verstehen warum Michaela so stark ihrem Wahn verfallen konnte.

Flo Lieb hat gesagt…

So ein (typischer deutscher) Film, der mich nie interessiert hat. Ähnelt ja EMILY ROSE, wobei der Ami-Film sicherlich sehr viel mehr auf Effekthascherei aus ist (wie immer).

tumulder hat gesagt…

Nee, mit Emily Rose hat der lediglich die Vorlage gemein und da würde ich mir dann lieber noch einmal Requiem anschauen. Fand ja auch Schmids 23 alles andere als schlecht. Wenn Schmid weniger zurückhaltend vorgegangen wäre und mehr Mut gehabt hätte, wer weiß... Typisch deutsch heißt für mich Donnersmark, Hirschbigl und Co.. Davon ist Schmid aber dann doch ein gutes Stückchen entfernt.

Anonym hat gesagt…

So ein (typischer deutscher) Film

Ohne Kommentar...

Flo Lieb hat gesagt…

Ohne Kommentar...

Du Hyperventilierer bist eh nicht ernst zu nehmen :-P

Anonym hat gesagt…

Zugegeben, ich habe die Kritik nicht gelesen, aber dennoch eine Frage: Sieht man viel von Tübingen und meiner Uni? Ist der an Originalschauplätzen gedreht?

tumulder hat gesagt…

Laut imdb war wohl auch Tübingen Drehort. Ich denke die wenigen Szenen an der Uni sind dann auch an Deiner Uni gedreht worden.:D

Anonym hat gesagt…

Du Hyperventilierer bist eh nicht ernst zu nehmen :-P

Danke. :(

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