Ex Drummer

Provokation, das ist gezieltes Hervorrufen einer Reaktion des Gegenübers mittels einer bestimmten Handlung. Grob umschrieben. Herman Brusselmans ist ein Schriftsteller, der seit Anfang der 80er mit seiner autobiografisch beeinflußten Literatur der belgischen Gesellschaft den stinkenden Finger unter die Nase reibt mit dem er zuvor in den Kloaken ihres Bodensatzes herum gefingert hat. Immer mit einer gehörigen Portion Sex, Gewalt, Drogen und noch einigen anderen Dingen, die sich zur Provokation eignen, garniert. Besonders seine Novelle Ex Drummer galt bisher als unverfilmbar. Und so ist es nicht verwunderlich, daß der belgische Werbefilmer mit Kino-Ambitionen Koen Mortier über acht Jahre brauchte, um die Verfilmung des Skandalbuches zu realisieren. Als Punk Film wird sein Werk gefeiert, als Pasolinis Teorema von unten in der Begleitbroschüre zur DVD angepriesen.

Dries van Hegen ist erfolgreicher Schriftsteller, wohnt in einem sauber durchgestyltem Luxusappartement mit Blick auf Ostendes Hafen inklusive auch nackt gut anzusehender Frau. Eines Tages sitzen Koen, Ivan und Jan in seinem Wohnzimmer. Drei Verlierer mit Handicap, wie sie es ausdrücken, die eine Punkrock Band gründen möchten. Sie benötigen jedoch noch einen Schlagzeuger und dachten sich, fragen wir doch einfach mal den bekannten Schriftsteller. Da Dries eh für sein neues Buch im Unterschichtenmilieu recherchieren möchte und die Vereinbarung lediglich bis zum ersten Auftritt der Band bei einem lokalem Band Contest gelten soll, sagt er zu. Fortan streift Dries mit dem Zuschauer durch das nicht mehr am Rande der Gesellschaft, sondern schon längst in einer Parallelgesellschaft statt findende Leben seiner Bandmitglieder. Jan, dessen Arm steif blieb, nachdem ihm seine Mutter, bei der er immer noch wohnt, beim onanieren erwischt hat und dessen Vater sein Dasein gefesselt am Bett fristet. Koen, der wortbildlich an der Decke geht und seinen Hass gegen Frauen regelmäßig freien Lauf läßt und Ivan, der keine Gelegenheit ausläßt seiner Frau das Leben zur Hölle zu machen, dessen Kind im eigenen Kot aufwächst. Überspitzte Klischees präsentiert uns Mortier, Karikaturen, die einem das Lachen im Halse stecken lassen sollen. Dries selbst ist das Klischee des Bildungsbürgertums, der gut situierten Mittelschicht, arrogant bis zum Anschlag, manipulierend, sich keinen Deut um das Schicksal seiner neuen Kumpel kümmernd. Sie sind Anschauungsmaterial für den geplanten Roman, mehr nicht. Dries gefällt sich immer mehr in der Rolle des Kopfes der Band, führt sie wie ein Despot, setzt seine Vorstellungen mit Leichtigkeit durch, zur Not auch mit Gewalt. Den restlichen Bandmitgliedern ist dies offensichtlich egal, sie wollen nur den Contest gewinnen und ganz groß rauskommen. Sie hoffen auf Dries Popularität, erkennen jedoch nicht, wie Dries immer mehr ihr soziales Konstrukt auseinander nimmt und sie schließlich im Moment des kurzen Triumphs hinrichtet.


Es steht außer Frage, daß Ex Drummer existenzielle Probleme unserer europäischen Gesellschaft aufgreift. Er von ihrer Spaltung in sozial undurchlässige Schichten erzählt, vom eigentlichen Desinteresse des Bürgertums an das Leben derer ganz unten. Lediglich unterbrochen um sich dort kurz mal umzuschauen und sich anschließend über das Ungeheuerliche zu echauffieren, Betroffenheit zu bekunden oder sich als guter Engel zu profilieren. Ein Blick in die TV- oder Tageszeitung genügt, um die Dries van Hegens wieder zu entdecken. Wie lange hat es eigentlich gedauert bis die mediale Hinrichtung Mark Medlocks, der auch von ganz unten kam, begann? Wie viele Alg II Empfänger werden wöchentlich des angeblichen Betrugs überführt? Die Abbildung des Leserreporterfotos eines psychisch Kranken, der nackt auf allen Vieren über eine Berliner Straße kroch, jedoch als besoffener Puffgänger deklariert wurde, ist der vorläufige Höhepunkt. Menschenzoo-Journalismus, der Vorurteile produziert, Klischees bestätigt und damit die Spaltung der Gesellschaft vorantreibt. Moertiers Film erzählt aus der Perspektive Dries van Hegens, so bleiben Jan, Ivan und Koen immer nur Objekte mit schlechten Eigenschaften, die einfach zu doof sind ihrem Elend zu entkommen. Widerlicher Abschaum, der es nicht verdient hat ernst genommen zu werden. Dem man gar nicht erst eine wirkliche Chance einräumen sollte nach oben zu kommen und falls er es doch schaffen sollte die ersten Stufen der Kellertreppe Richtung Erdgeschoß zu meistern, dann darf man ihn von oben wieder hinunter treten.

All dies wird leider von Mortiers Herangehensweise an die filmische Umsetzung des Stoffes unterdrückt. Denn anders als Marry Harron, die mit American Psycho ebenfalls einen aufgrund seiner expliziten Gewalt und Sexdarstellungen als unverfilmbar geltenden Roman verfilmte, sich dabei jedoch auf den Kern der Vorlage konzentrierte, läßt es sich der Belgier nicht nehmen jede noch so grenzüberschreitende Metapher Brusselmans visuell auf den Zuschauer los zu lassen. Da werden Riesenschwänze bis zum Anschlag in den Anus des willigen Opfers gerammt, Politessen das Gesicht mit dem Ziegelstein zu Brei geschlagen und die psychatrische Klinik ist halt ein Irrenhaus. Überhaupt, wir sind ja Werbefilmer und wissen daher visuelle Reizpunkte zielgenau ans Volk zu bringen. Von daher sind wir uns auch nicht zu blöd Dikke LuLs dikken Lul abzuschneiden und ihn anschließend sein Statement dazu am Küchentisch mit dem Abgeschnittenen in Front verbreiten zu lassen, während eine Couch weiter das Vergewaltigungsopfer von der Sehnsucht nach dem Gefühl des zu großen Genitals des Vaters in ihrer kindlichen Vagina faselt. Ja, das ist Punk, das ist pure Wut. Das ist vor allem plump, verwehrt diese Herangehensweise doch den Blick auf die Botschaft Brusselmans, lenkt sie doch nur vom Hauptthema ab, läßt sie Dries van Hegens nihilistische Verbrechen in den Hintergrund treten. Wenn Mortier im Interview erstaunt anmerkt gewußt zu haben auf welchen Stoff er sich da einläßt, aber von der starken Reaktion auf seinen Film überrascht worden zu sein, dann kann ich ihm nur Scheinheiligkeit oder grenzenlose Naivität attestieren. Ich frage mich ob er wirklich glaubt, daß sich die, an die sich die Kritik seines Filmes richtet, mit seinem Werk abgeben. Ob er wirklich glaubt mit grafischer Drastik noch provozieren zu können. In der heutigen Zeit, in der die visuellen Grenzüberschreitungen der frühen Cravens und Romeros schon längst etablierter Teil des Unterhaltungsmainstreams sind. So bleiben lediglich wenige Szenen in denen der Film wirklich stark ist. Zum Beispiel die des Punk Rock Contestes, in denen klar wird, daß Koen und seine Kumpel doch etwas auf der Pfanne haben. In denen sie sich von Dries emanzipieren können, in denen Mortier für einen kurzen Moment Dries Perspektive verläßt und sich ein anderes neutraleres Bild ergibt. Da darf Jans Mutter Dries auch klar machen, daß er nur geduldet wird, daß er selbst benutzt wird, damit die Jungs eine Chance bekommen. Nicht zuletzt die, in denen Dries die Bandmitglieder in ihren Behausungen besucht, jegliche gut gemeinte Gastfreundschaft jedoch in einer Mischung aus Arroganz und Ekel ablehnt und damit unterstreicht, daß ihm nicht an den Menschen gelegen ist, sondern an der Sensation. Von gleicher Motivation kann ich Mortier nur aus Mangel an Beweisen freisprechen. Der Soundtrack ist damit das einzige am Film, was über jeden Zweifel erhaben ist.

5/10 Punkte

6 Kommentare:

Flo Lieb hat gesagt…

Den schau ich mir demnächst hoffentlich auch noch an.

Rajko Burchardt hat gesagt…

Genauso ein Mist wie alles aus der KK-Reihe (außer SALO).

tumulder hat gesagt…

@rajko
Nö.

samploo hat gesagt…

Mh, kaufte mir den Film ja auch kuerzlich. Angesehen hab ich ihn noch nicht, aber hatte eigentlich recht "hohe" Erwartungen, die jetzt jedoch etwas getruebt werden.

Den OST hoerte ich auch schon rauf und runter, klasse ist der wirklich! <3 Mongoloid

tumulder hat gesagt…

@samploo
Er hat ja ein paar wirklich sehr starke Szenen. Meine Kritik richtet sich eher an die Überflüssigen, nicht weil sie geschmackslos sind, sondern weil sie wie erwähnt vom eigentlichen Thema des Films ablenken. Ist immer so eine Sache, was in der Literatur funktioniert, kann visualisiert eine andere Wirkung entfalten.

Anonym hat gesagt…

Die Koen Mortier attestierte Scheinheiligkeit ist Teil des Plans. Der Mann ist ein arrogantes, misanthropisches Arschloch, wie Gapsar Noë eins ist, wie Godard zu seiner Zeit eins war. Und entsprechend fällt die Chose auch aus: Hier wird nicht differenziert, hier wird einem ganz schlicht und einfach hingeworden: Menschen sind wertloser Dreck. Ex Drummer ist kein Punk, sondern Black Metal.

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