Es ist nun schon dreizehn Jahre her, daß Mathieu Kassovitz der Jugend in den Vorstädten Paris, den Banlieues, ein Gesicht gab, nicht nur eine differenzierte Analyse über die Entstehung von Gewaltspiralen ablieferte, sondern auch ein Bild des tief in der französischen Gesellschaft verankerten und alltäglichen Rassismus zeichnete. La Haine gilt heute als Meilenstein des französischen Kinos, sein Hauptthema scheint im Hinblick auch auf die letzten Ereignisse in Griechenland von zeitloser Brisanz. Xavier Gens bedient sich für seinen Genrebeitrag Frontiére(s) der gleichen Themen, liefert jedoch weitaus traumatischere Bilder, die ganz dem Titel des Filmes gerecht werdend zu einer Grenzerfahrung ausarten.
Frontiére(s) beginnt inmitten der Pariser Unruhen während der letzten französischen Präsidentschaftswahlen. Eine Kleinkriminellenbande aus den Banlieus trifft sich nach einem Banküberfall in ihrem Versteck, in dem sie festellen muß, daß ihr Fluchtplan auf wackeligen Beinen steht. Yasmins Bruder Sami wurde bei der Schießerei mit der Polizei schwer verletzt. Nach kurzem Streit einigen sich Yasmin und Alex ihn in ein Krankenhaus zu bringen während Tom und Farid schon einmal in Richtung Grenze vorfahren, in einer kleinen Pension möchte man sich wiedertreffen und danach die Grenze überqueren. Sami stirbt noch in der Aufnahme des Krankenhauses, so bleibt Yasmin und Alex nur noch die Flucht zur kleinen Pension in der sich Tom und Farid schon längst in den Händen einer degenerierten Nazifamilie befinden. Die Bilder werden schon bald von Blut und Schmerz bestimmt. Nichts für Zartbesaitete was Gens da auf die Leinwand bannt. Da wird erschlagen, zersägt, durchgeknippst und hingerichet wie nur selten zuvor im Genre. Ganz schnell werden die Attitüden der in den letzten Jahren recht erfolgreichen Torture Porns wie zum Beispiel der beiden Hostel Filme oder der SAW Reihe erreicht und noch einmal überboten. Doch wo Roth postmoderne Retrospektiven des Genres und Bousman dann wirklich nur noch hohle Exploitation bieten, kann Gens mit der unerwarteten Tradition des politischen Horrorkinos aufwarten. Im Kontext zu Kassovitz Mahnmal und dem eigenen Anfang erschließt sich die starke Visualisierung gesellschaftlicher Unterdrückung, wie sie von den meist arabischstämmigen Jugendlichen in den Voorten Paris oder Lyons nicht nur empfunden sondern auch erlebt wird. Wenn Alex vom Nazifamilienoberhaupt die Archilessehnen durchgeschnitten werden, ist dies viel mehr als ein purer Akt der Gewalt. Da entstehen Bilder von einer ganzen Generation, die nicht mehr auf eigenen Füßen stehen wird, da sie aufgrund ihrer Herkunft keine echte Chance auf mehr als einen Aushilfsjob bekommt. Wenn überhaupt. Und wenn Yasmin um ihre schönen Locken gebracht wird, damit sie zur Familie gehören darf, dann ist dies auch ein subtiles Bild für die Vorstellung vieler Europäer von Integration. Verabschiede Dich von Deiner Vergangenheit, sehe so aus und lebe so wie wir. Natürlich ist Frontiére(s) in erster Linie ein Genrefilm, der sich auch bis zum Ende genauso verhält wie man es erwarten darf, der nichts anderes macht als die Backwood Redneck Kannibalen Familie nach Europa zu holen und mit ordentlich Schmackes eine Gruppe Jugendlicher dahin metzelt. Aber ein hirnloser Gewaltporno ist Frontiére(s) ganz bestimmt nicht. Dazu birgt die Brutalität des Films einfach zu viel Subtext, als daß Gens hier lediglich die Gorehounds für den kurzen Akt der voyueristischen Befriedigung bedienen würde. Nebenbei sieht er auch noch verdammt gut aus. Vielleicht die Überraschung abseits der überschwänglich Gefeierten des Kinojahres 2008.
7,5/10 Punkte
12 Kommentare:
Ach du lieber Himmel, du hast den Film ja völlig prätendiert. ;)
Der ganze aufgeblasene Polit-Kontext war doch total lachhaft und nicht einmal im Ansatz ausgearbeitet. Die Nazi-Familie war nur als Gag zu gebrauchen und konnte sich nie von ihrer schablonenhaften Nachzeichnung des TCM-Vorbildes freispielen.
Der Film ist außerdem unnötig brutal und frauenfeindlich ohne Ende. Genau wie INSIDE einer jener neuen Vertreter des französischen Genrekinos, die wohl glauben, sie hätten wie ihre Nouvelle Vague-Väter US-Vorbilder studiert, aber streng genommen nix kapiert haben.
Ach du lieber Himmel, du hast den Film ja völlig prätendiert. ;)
Ja Rajko, vielleicht mit Deinen Augen. Ich weiß nicht inwiefern Du Dich überhaupt schon einmal mit dem Thema Leben als Franzose mit arabischen Wurzeln in Frankreich beschäftigt hast. Ich habe da schon einige Dramen erlebt, habe die mit Schimpfwörtern und Hakenkreuzen beschmierte Tür der Studentenwohnheimbude unserer damaligen Austauschstudentin in Annecy gesehen, als wir sie dort später in den Semesterferien besucht haben. Ich habe Spanier erlebt, die ihren Vater und Mann noch im hohem Alter aufgrund seiner marokkanischen Wurzeln gemobbt haben und sich schämten wenn er von seiner Kindheit in Tanger erzählte. Und hinter vorgehaltener Hand von seinem arabischen unreinen Blut faselten. Also aufgeblasen ist an Frontiére(s) überhaupt nichts, sobald man sich wirklich mit dem Thema beschäftigt. Da ergibt sich ein ganz anderes Bild wenn man den Film sieht. Ich frage mich auch wo Du schon wieder Frauenfeindlichkeit gesehen haben möchtest. Ist schon komisch, aber Dir darf der Film natürlich nicht gefallen.;)
Ich frage mich auch wo Du schon wieder Frauenfeindlichkeit gesehen haben möchtest.
Achja, ich vergaß. Das ist ja eigentlich Dein Hauptproblem, daß Du die Aussagen eines Filmes immer mit den Aussagen seiner Charaktere durcheinander bringst.*gg*
Also ich kann Deinen politischen Subtext durchaus nachvollziehen, der ist definitiv da - vorallem auch die Sache mit der Schwangerschaft ist voll von Subtext (was bei INSIDE ja auch ein Motiv war) ...
Die Existenz dieser Problematik steht doch gar nicht zur Debatte, also bitte keinen überemotionalisierten Diskurs. Es geht doch einzig darum, dass der Film dieses Thema für Exploitation benutzt, als Aufhänger für eine uralte Stalk'n'Slasher-Geschichte verwendet. Was du hier schreibst klingt, als sei das ein tiefschürfender Film, der sich niveauvoll mit ethnischen Fragen auseinandersetze, sorry, aber das erscheint mir bei solchem Trash echt arg seltsam.
Und frauenfeindlich ist, wenn ein Film 90 Minuten nix anderes zu ästhetisieren hat, als eine Frau, die ihr Blut in ständiger Zeitlupe durch die gegen sprudeln darf, geschlagen, getreten und sonstwas wird, um sich im Finale ein buchstäbdliches Weibercatchen liefern zu können. Der eigentliche rote Faden der neuerlichen frz. Genrefilme - die neu erstarkte Frau (siehe auch HIGH TENSION) - wirkt doch nur fadenscheinig bei so viel ausgestellter Gewalt gegen Frauen.
Ach Rajko, jetzt mache mal halblang. Dir geht der Film gegen den Strich weil er einfach nicht Deinen Vorstellungen entspricht. Ich habe doch eindeutig geschrieben, daß er in erster Linie Genrefilm ist. Und Deiner Begründung der angeblichen Frauenfeindlichkeit nach wären 90% aller Genrefilme männerfeindlich. Der Film ist wütend, sperrig, da die Protagonisten nicht dem Klischee des Genres entsprechend harmlose sympathische Opfer sind, sondern selbst was auf dem Kerbholz haben. Zeitlupen gibt es im übrigen überhaupt nicht zu bewundern. Von daher hast Du offensichtlich einen total falschen Eindruck vom Film, bitte noch einmal anschauen und mal die Perspektive wechseln. Gens ist hier wirklich etwas tolles gelungen, zehnmal geerdeter und ehrlicher als das meiste, was das Genre die letzten Jahre ausgeworfen hat. Und Du kannst mir glauben, ich habe viel davon gesehen.
Es geht doch einzig darum, dass der Film dieses Thema für Exploitation benutzt, als Aufhänger für eine uralte Stalk'n'Slasher-Geschichte verwendet.
Das darf dann natürlich nur einer machen wenn er Romero oder Craven heißt. Ist schon klar.;)
@Cleriker
Wobei Inside eindeutig der schlechtere Film ist. Auf den trifft vieles zu was Rajko an Frontiére(s) bemängelt.;)
Ich auch, gerade deshalb. Ich fand den Film auch nicht völlig schlecht, aber eben weil da so viel drin steckt, was ungenutzt bleibt, fand ich es schade. Ich erinnere mich übrigens gerade ganz konkret an eine Slo-Mo zum Schluss, wo die Olle das Fleisch/Blut ausspuckt (vielleicht hast du die Cut-Version gesehen, i dunno), und der Vergleich mit den Männern zählt natürlich aus soundsovielen Gründen nicht, weil Männer keine Geschichte der Unterdrückung hinter sich haben, aber gut, bringt glaube ich nicht viel, die Ideologiediskussion. Will die auch gar nicht führen, ist mir zu müßig, gerade bei so 'nem Quark, aber das Gedeute und Bedeutungssuchende bei diesem Film finde ich nicht nachvollziehbar, sorry.
Wahrscheinlich ist INSIDE dann die Schwangerschaftsparabel des Jahres und weil irgendwo im TV studentische Unruhen zu sehen sind auch noch ein Kommentar zur Tagespolitik Frankreichs. Ich sage jetzt schon mal: Viel Spaß mit MARTYRS. ;)
.... BITCHFIGHT! :D
Will die auch gar nicht führen, ist mir zu müßig, gerade bei so 'nem Quark, aber das Gedeute und Bedeutungssuchende bei diesem Film finde ich nicht nachvollziehbar, sorry.
Nee ist klar Rajko, ich weiß gar nicht wo hier viel gedeutet werden muß. Sorry, wenns eindeutig wird hast Du halt Deine Probleme (-> The Fountain) und wenns überhaupt nichts zu deuten gibt erst recht (-> 300). Aber lassen wir das wirklich.
@Flo
*gg*
Hab den Film nicht gesehen, aber diese Metapher Wenn Alex vom Nazifamilienoberhaupt die Archilessehnen durchgeschnitten werden, ist dies viel mehr als ein purer Akt der Gewalt. Da entstehen Bilder von einer ganzen Generation, die nicht mehr auf eigenen Füßen stehen wird gefällt mir.
Ja, ich war wirklich überrascht von Gens, zumal ich seinen Hitman nach 10 Minuten wieder aus den Player geworfen habe. Ich muß aber zugeben den Kassovitz ein paar Wochen vorher noch gesehen zu haben, klar der bessere Film und vielleicht war ich mit der Punkteverteilung hier ein wenig zu großzügig und die Begeisterung hat mir einen Streich gespielt.;)
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