Suspiria

Warum Dario Argentos Suspiria bis heute als einer der wichtigsten Genremeilensteine gilt, erfährt der Zuschauer wenige Minuten nach dem klassischem Vorspann. Die Bilderflut, der er bis dahin schon ausgesetzt sein wird, das Durchbrechen üblicher narrativer und räumlicher Filmkonventionen, der das Geschehen nach vorne peitschende Score, die Farb- und Architekturgestaltung des Setdesigns, die Angst und die Neugier, die Bestrafung der Ungehorsamen, der Symbolismus, die Metaphern des Traumes. All jene Dinge, die Argentos Film in den nachfolgenden knappen 90 Minuten noch einmal ausgiebig zelebrieren wird, mit ihnen konfrontiert Argento den Zuschauer schon in den ersten Filmminuten. Der Einleitung, dem Prolog, wenn man sie so nennen will, in dem er Höhepunkt und Exposition zusammenführt. Enden wird seine Einleitung in einer atemberaubenden Choreografie des Schreckens, in einer der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte. Die sich nicht scheut die Bedrohung, den Horror ganz an den Anfang der Erzählung zu stellen, den Zuschauer einzuweihen, ihn mit den Wissen um die Folgen, des Unausweichlichen, in den restlichen Film zu schicken. Das Wissen führt in Suspiria unweigerlich zum Tode.

Suzy Bannions nächtliche Ankunft in Deutschland ist begleitet von unglücklichen Umständen. Der strömende Regen, die Taxifahrer, die sie nicht mitnehmen wollen, und der, der schließlich anhält, möchte ihr noch nicht einmal mit dem Gepäck helfen, gibt sich unfreundlich. An der Tanzschule angekommen, gewährt ihr die Stimme an der Sprechanlage trotz des Unwetters keinen Einlaß. Und so muß Suzy die erste Nacht in einem Hotel verbringen. Erst am nächsten Tag kann sie in der Schule aufgenommen werden, doch die Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten möchten nicht aufhören. Ihr Zimmer ist noch nicht eingerichtet, und so soll sie ersteinmal bei Olga einziehen, die sich nicht zu unfein ist die 50 Mark wöchentliche Untermiete gleich im Voraus zu verlangen. Kein herzlicher Empfang. Schon bald freundet sich Suzy mit Sara an, die ihr von unheimlichen Geschehnissen in den letzten Tagen und Nächten berichtet. Das Mädchen, das in der Stadt auf bestialische Weise ermordet wurde, war Sandras beste Freundin, die aufgrund Ungehorsams gegenüber den strengen Leiterinnen der Akademie von selbiger verwiesen wurde. Von Nachforschungen über Hexen, denen sich ihre Freundin zuvor widmete. Von unerklärlichen Geräuschen in der Nacht erzählt Sara, von dem schwerem Atmen, das im ganzen Haus zu hören ist, wenn die unbekannte Direktorin dort übernachtet.

Es ist natürlich nicht die einfache Geschichte, die Argentos Suspiria zu einem einmaligen Erlebnis werden läßt. Nicht die Suche nach dem Geheimnis der Tanzakademie und ihrer Leiterinnen, die interpretationiswilligen Metaphern, die sich im doppelten Boden seines Filmes tummeln, ohne daß man das Gefühl hat, er würde sie auch nur einmal an die Oberfläche kommen lassen. Es ist die Art und Weise, in der Argento den Horror zu inszenieren weiß, die von Anfang an, trotz aller gewollter Künstlichkeit, einen Teppich von Unbehagen über seinen Film legt. Ein Unbehagen, das sich gerade aus dieser Künstlichkeit generiert, die allgemeine Sehgewohnheiten des Horrorkinos ad absurdum führt. Entgegen dem seiner Zeit im Genre so beliebten amerikanischen Naturalismus, inszeniert Argento ein romantisches Gruselmärchen, das die universale Verständlichkeit seiner zwischen Expressionismus und Surrealismus schwankenden Bilder verstörend in einem eigenem Stil aufgehen läßt. Ein Stil, der Handlung und Plot vollkommen über das Empfinden des Zuschauers zu transportieren weiß. Argento spielt mit dem instinktiven Argwohn vor dem Ungewohnten, dem Fremden, vermischt okkulte Gotik mit verspieltem Jugendstil auf der formalen Ebene, das zerbrechliche Äußere der jungen Darstellerin Jessica Harper mit dem gesunden Selbstbewußtsein und Mut seiner Hauptfigur Suzy Bannion auf der psychologischen. Argento läßt Schauspiel- und Beleuchtungstechnik des Stummfilms mit der Welt des Technicolor und Tonfilms kollidieren, was gerade zu Anfang für die gleiche Verwirrung und das gleiche Unwohlsein beim Zuschauer führt, denen auch seine Filmfiguren ausgesetzt sind. Suspiria wird selbst durch die Fremdartigkeit zu etwas kaum Faßbarem und dadurch Bedrohlichem. Suspiria will sich der Erwartungshaltung des Zuschauers einfach nicht fügen. Gibt sich wie die Opfer im Film aufmüpfig. Mit der gleichen Mischung aus Skepsis und Unbehagen, mit der Suzy Bannion anfangs aus den Taxifenstern in die Düsterkeit der Nacht schaut, wird auch der Zuschauer Argentos Film begegnen. Wie sehr der Regisseur das Spiel mit dem Befremdlichen liebt, beweißt er, als er den mittlerweile für den Zuschauer schon gewohnt künstlichen Bildern der Akademie, die nahezu unentwegt mit dem progressiven Sound der italienischen Band Goblins unterlegt sind, eine Szene im Wirtshaus der Stadt folgen läßt. Wie fremdartig plötzlich die realistischen Schuhplattler wirken, die dort zur Volksmusik auf den Tischen tanzen. Vielleicht Argentos einziger Witz im ganzem Film, der sich ansonsten nicht nur wie ein Albtraum gibt, sondern auch seinen Regeln folgt. Eine befriedigende Auflösung des Ganzen wird es nicht geben. Der Film endet an der Stelle, an der man wohl auch aus seinem eigenem Albtraum aufwachen wird. Logik, Plot, Ratio, was haben diese Dinge schon in einem Albtraum zu suchen?

10/10 Punkte

10 Kommentare:

Stefan hat gesagt…

Wie hat es ein Kollege bei den Filmforen gesagt? So einen Film macht kein "normaler" Mensch. Recht hat er!

tumulder hat gesagt…

Und wer will schon Filme von "normalen" Menschen sehen? Drehen "normale" Menschen überhaupt Filme?^^

Kaiser_Soze hat gesagt…

LEIDER noch nicht gesehen. Wird nachgeholt. Versprochen. ;)

tumulder hat gesagt…

@kaiser
Unbedingt.

Kaiser_Soze hat gesagt…

Aber woher bekomme ich die beste Version des Films?

Selbst bei amazon.co.uk findet sich nur noch eine überteuerte auf dem Marketplace.

tumulder hat gesagt…

O.K., ganz preiswert wird es wohl nicht werden. Die beste Ausgabe bietet wohl die Anchor Bay Edition, die aber anscheinend nicht mehr aufgelegt wird. Ich besitze die normale Dragon Auflage, die mir, wie in den meisten Fällen, mein Videothekar besorgt hat. Im übrigen gute Bild- und Tonqualität.

Rajko Burchardt hat gesagt…

Ja ja ja, super tumi, sehr gut!

Will den direkt wieder sehen. Ganz großer Film.

tumulder hat gesagt…

@rajko
Vor dem für nächstes Jahr angekündigten Remake habe ich jedenfalls schon Angst.;)

Rajko Burchardt hat gesagt…

Oh Gott... langsam bekomme ich schon von dem Wort Remake Angst...

tumulder hat gesagt…

Wenn es gut läuft, wird es eine Neuverfilmung.;)

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