Bronson

Wenn ein Mensch die meiste Zeit seines Lebens im Gefängnis verbringt, in Zahlen 34 Jahre und ein Ende ist nicht in Sicht, ohne jemals einen anderen Menschen umgebracht zu haben, dann muss es sich schon um einen besonderen Häftling handeln. 30 von den 34 Jahren verbrachte Michael Gordon Petersen bisher in Einzelhaft, einer weiteren Disziplinierungsmaßnahme innerhalb des Gefängnissystems. Man könnte meinen er genießt die Bestrafung, er ist ein Masochist oder möchte als Märtyrer in die Geschichte eingehen, der die Isolation sucht, um auf Missstände im Strafvollzug aufmerksam zu machen. Nein, das ist er nicht. Die Schläge, die Bronson im Knast einsteckt, sind nicht die ungerechten jener sadistischen Aufseher und Direktoren, wie wir sie aus den üblichen Gefängnisdramen kennen. Sie sind eher Ausdruck einer Ohnmacht. Bronson lässt sich nicht beherrschen, er weiß was auf ihn zukommt, wenn er wieder einmal eine Geisel in einer seiner vielen Zellen, die er selbst als Hotelzimmer bezeichnet, genommen hat und am Ende selbst nicht weiß mit welchem Ziel über die Provokation und Inszenierung eines erneuten Gewaltausbruchs hinaus.

… and all my life I want to be famous. So die ersten Worte Bronsons, der seine Geschichte selbst auf der Bühne eines virtuellen Theaters vor dem von ihm erwünschten Publikum erzählt. Es applaudiert, lacht, zeigt sich erstaunt, genau an den Stellen, die er dafür auserkoren hat. Und darum geht es ihm letztendlich, er möchte Anerkennung, Berühmtheit. Und wenn es die äußerst zweifelhafte Berühmtheit als Englands gefährlichster und bekanntester Häftling ist. Im Gefängnis scheint die Selbstinszenierung um ein Vielfaches einfacher. Hier kennt sich Bronson mit seinem Publikum aus, weiß um dessen Vorlieben. Ganz im Gegenteil zu seinen Erfahrungen mit der Welt da draußen. Wie schwer es dort ist mit seinen Künsten ein Publikum zu finden, zeigt sich in der kurzen Bewährungszeit, die für ihn schon wieder nach nur 69 Tagen beendet ist. Es hat Spaß mit ihm gemacht, aber die großen Künstler sind dort die anderen. Die extraordinären Bosse und Prostituierten aus den Genre beeinflussenden Gangsterkomödien Tarantinos, Ritchies oder Lasse Spang Olsons, die Bronson sehr schnell die Nebenrolle verdeutlichen, die er in ihrer Welt einnimmt. Aber Bronson möchte keine Nebenrolle, er möchte die Hauptrolle und so landet er natürlich wieder im Knast. Auf der kleinen Bühne kann er doch noch am besten performen. Ihre Regeln sind halt überschaubarer.

Nicolas Winding Refns Filme konnten bisher mit einer wunderbaren Offenheit gegenüber ihres Milieus und Genres begeistern. Verbanden sie doch immer die tragikomischen Figuren des postmodernen Gangsterfilms mit dem echten Drama. Obwohl Bronson sich inszenatorisch kaum mit Refns früheren Arbeiten vergleichen läßt, er vor allem mit surrealen Überspitzungen arbeitet – nein, genauer gesagt ist der ganze Film eine surreale Überspitzung -, gelingt ihm dieses Kunststück auch diesmal. Das ist schon erstaunlich, denn Refn bedient sich durchgehend jener Mittel, die solch ein Projekt ganz leicht der künstlerischen Überforderung preisgeben könnten. Und tatsächlich, da wirkt manch eine Szene zuallererst lediglich der Sensation geschuldet, die erste Hälfte des Filmes könnte mit einem platten Clockwork Orange Zitat verwechselt werden, lediglich Wagner und Puccini statt Ludwig Van. Doch Refn weiß anscheinend ganz genau, wann und wie er seine Referenzen zu brechen hat, setzt die Gewalt seiner Figuren, trotz ihrer einnehmenden Körperlichkeit, gerne eine inhaltlich lächerliche Attitüde auf, ohne sie jedoch der Lächerlichkeit auszusetzen. Das ist verwirrend und faszinierend zugleich, ganz der Hauptfigur des Filmes entsprechend. Vielleicht ist Bronson weniger als satirisches Biopic Englands gefährlichsten und bekanntesten Häftling anzusehen, sondern viel mehr noch als Essay über die Inszenierung der Gewalt im Film.

7,5/10 Punkte

2 Kommentare:

Flo Lieb hat gesagt…

Was die Gewalt angeht, da scheinen wir auf gewisse Art und Weise übereinzustimmen. Der Einfachheit:
Winding Refn missbraucht lediglich Petersons Leben, um eine zynische Gefängnischose zu erzählen, die letztlich nicht einmal wirklich etwas über das Gefängnis erzählen will, sondern sich ausschließlich auf Gewalt als cooles Ausdrucksmittel eines introvertierten Mannes beschränkt. Dabei schadet es "Bronson" am meisten, dass er keine wirkliche Geschichte zu erzählen hat, auch nicht in kleinen Episodenformen.

tumulder hat gesagt…

Ja, aber anderseits finde ich es gerade gut, dass Refn sich nicht auf eine chronologische Kriminellendramödie einläßt. Dass er keine Geschichte zu erzählen hat, stimmt nicht so ganz. Er erzählt sie nur anders als gewohnt.;)

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