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Die Nadel im Heuhaufen - Southland Tales

Zum Glück ist ja doch alles anders gekommen. Die Welt ist noch intakt, die Republikaner haben in Kalifornien die Wahl nicht gewonnen und überhaupt, die vierte Dimension ist nicht kollabiert. War also alles doch nur Dummfug, was uns Richard Kelly 2006 mit Southland Tales in Cannes präsentierte. Hatten die Kritiker, die seinen Film auf Teufel komm raus schlecht und von einem großem Nichts redeten also doch recht. Puh, noch einmal Glück gehabt, daß sein Film in den Kinos erst gar nicht anlief und somit das Publikum vor dem apokalyptischem Schwachsinn noch einmal gerettet werden konnte. Es grenzt ja schon nahezu am Glück eines Lottogewinns, daß man Southland Tales verschämt in der hintersten Ecke der Videothek auf einen Ausleiher wartend entdeckt. Überhaupt Notiz von seiner Existenz nehmen darf. Mir ist schon klar, daß Richard Kellys Weltuntergangs Sci-Fi Satire keinen großen Anklang bei der großen Masse finden dürfte. Dazu ist er inhaltlich zu frech, narrativ zu unkonventionell und, genau, zu spleenig. Was den Eindruck der großen Komplexität der Geschichte, die eigentlich ziemlich einfach ist, nur nicht so einfach daherkommt, erweckt. Dabei braucht der Zuschauer lediglich ein wenig Geduld, Aufmerksamkeit und Humor, um sich 145 Minuten bestens unterhalten zu lassen.

Am Unabhängigkeitstag des Jahres 2005 wird die USA Opfer zweier nuklearer Terroranschläge in Texas. Daraufhin ziehen sie in den Krieg gegen die Achse des Bösen, bestehend aus den üblichen Verdächtigen der arabischen Hemisphäre. Die Rechte der U.S. Bürger werden zugunsten der Errichtung eines Militär- und Überwachungsstaates eingeschränkt, das Reisen zwischen den Bundesstaaten ist nur noch mit gültigem Visum möglich. Mit USident wird eine neue Behörde zur Überwachung jedes einzelnen Bürgers installiert, was von deren Mitarbeitern hysterisch gefeiert wird. Zu allem Überfluß verlieren die USA auch noch die Kontrolle über ihr Öl im Nahen Osten und eine als Neomarxisten bezeichnete Untergrundorganisation treibt in den Städten den bewaffneten Widerstand. Ja, die Apokalypse steht bevor. Baron Westphalen, ein deutscher Wissenschaftler, der unter der Obhut seiner an Frankensteins Braut erinnernden Mutter steht, liefert mit Utopia 3 zumindest die Lösung für die Brennstoffprobleme der USA, auch wenn er insgeheim nicht so ehrenhafte Ziele verfolgt. Erzählt wird dies alles anhand der Geschichten des Schauspielers Boxer Santaros und des Ex-GIs Roland Taverner. Wem jetzt das Hirn brutzelt, dem sei versprochen, die Geschichte ist nicht halb so wichtig für das Verständnis des Filmes wie erwartet. Sind Richard Kellys Southland Tales doch eigentlich nichts anderes als eine vergnüglich überspitzte Skizzierung der gesellschaftlichen und politischen Veränderungen der USA der letzten Jahre, die Kelly in einem großem Knall enden läßt.

Dabei ist es wirklich erfrischend wie Kelly es schafft sich nicht verleiten zu lassen, sich innerhalb der Geschichte plump auf irgend eine Seite zu schlagen. Denn seine beiden Hauptprotagonisten wissen selbst nicht mehr wer sie eigentlich sind, sind selbst nur Marionetten der Regierung und des Untergrunds, deren Machenschaften sich nach und nach der Lächerlichkeit preisgeben, da sie den wahren Feind in ihrer eigenen Machtsucht und Verblendung nicht erkennen können. Während die Regierung auf den Dächern Scharfschützen stationiert, die subversive Elemente kurz und schmerzlos aus der Ferne exekutieren, damit das Beachleben ungestört weiter gehen kann, vergessen die Untergrundler bei der Durchführung ihrer Sabotageakte selbst die moralischen Grundsätze, die sie von der Regierung einfordern. Ihre versuchten Manipulationen sind gemessen an der Gesamtsituation in der sich die USA befinden an Schwachsinn nicht zu übersteigern. Was für einen Sinn macht es den Mord an einem bekanntem schwarzen Künstlerehepaar durch einen rassistischen Polizisten zu inszenieren um die Bösartigkeit der Regierung zu demonstrieren, wenn sich das Land eh schon in einem mehr als bedenklichen Zustand befindet? Inszenieren muß man da eigentlich nichts mehr. Doch auch gesellschaftspolitisch gibt es reihenweise etwas auf die Zwölf. Wunderbar wie subtil Kelly anhand Krysta Now, der Pornodarstellerin, Drehbuchautorin, TV-Moderatorin und Erfinderin eines Powersoftdrinks, die fehlende sexuelle Selbstbestimmung der Frau offenlegt. Ja, na klar möchte sie gerne hart gevögelt werden, doch Gewalt hat im Bett nichts zu suchen und von daher läuft anal bei ihr gar nichts. Eine unverhohlene Spitze gegen die religiöse Rechte der USA, die Frauen noch nicht einmal die Lust auf Sex zugestehen möchte. Gleichzeitig auch eine Warnung die Thematisierung der Sexualität durch ihre Tabuisierung in der Öffentlichkeit nicht denen zu überlassen, die sie nur im extremem darzustellen vermag. Und ja tatsächlich, unter der spinnerten Science Fiction Polit Farce Kellys liegt mehr vergraben, als der Zuschauer vielleicht aufnehmen kann. Eine Zweitsichtung drängt sich förmlich auf. Korpulierende SUVs in einem Werbespot für den europäischen Markt sind da tatsächlich nur die Spitze des Eisberges.

Als fast schon universelle Satire nicht nur auf die USA kommt Soutland Tales daher. Politisches Desinteresse, übersteigerter Patriotismus, Verschwörungstheorien, Verdrängung, Machtsucht, Intrigantentum, Hysterie, falscher Glaube... All das, was eine Gesellschaft von innen heraus spalten und letztendlich zerstören kann findet sich in Southland Tales. Erstaunlich, daß weite Kreise der Kritikerlandschaft, die seit Jahren darüber lamentiert, daß sich Hollywoods Kino immer mehr der politischen Belanglosigkeit nähert, diesen Film nicht mit offenen Armen empfangen hat. Aber so ist das vielleicht, wenn der Regisseur bisher lediglich einen interessanten, aber doch recht kryptischen und an den Kinokassen gefloppten Mystery Thriller, der sich wahrlich schwer kategorisieren läßt, abgeliefert hat. Dann möchte man vielleicht die politische Reife Kellys, die er mit seinen Southland Tales vermittelt nicht erkennen. Wenn er sein Können als Regisseur mittels der hervorragenden Leistungen seines Casts, von dem diese in dieser Form eigentlich gar nicht zu erwarten waren, der fantastischen Wirkung von Bild und Soundtrack und der Tatsache, daß er trotz der ganzen Nebenplots samt ihrer Nebenfiguren nie den Faden verliert, demonstriert, dann ist die abwehrende Haltung dieser Kritiker noch unverständlicher. Southland Tales ist einer der geglücktesten Filme der letzten Jahre, inhaltlich als auch inszenatorisch, der vielleicht in der Tradition Terry Gilliams Brazil oder 12Monkeys zu sehen ist, doch weitaus universellerer Natur zu sein scheint und phasenweise sogar Robert Sheas und Robert Anton Wilsons Subversivität zu erreichen vermag. Ich bin mir ziemlich sicher, daß er in Zukunft sein Publikum finden wird. Gibt es eigentlich einen schlechten Film, dessen Soundtrack sich der Pixies bedient?

9/10 Punkten