„Als wir den Studios das Konzept des Filmes präsentierten, dachten die meisten, wir hätten nicht mehr alle Tassen im Schrank.“ Frank Miller im
Gespräch mit Andreas Renner/SpOn
Frank Miller hatte eigentlich vom Filmgeschäft die Schnauze voll. Viel zu oft wurden seine Drehbücher, seine Figuren in der Vergangenheit von Produzenten und Regisseuren mit Blick auf die Sehgewohnheiten des Massenpublikums umgesetzt. Herausgekommen ist Durchschnitt und Unterdurchschnitt und das korrespondiert sicherlich nicht mit seinem künstlerischen Gesamtwerk. Er war es, der Gotham City neues Leben einhauchte, der dem schwarzen Rächer eine neue Identität verlieh und ohne dessen Kreativität das Superheldenkino letztendlich nicht der Erfolg vergönnt wäre den es heute erfährt. Nolans Sommerblockbuster The Dark Knight ohne Millers Neuausrichtung in den 80ern nicht zu denken. Eines seiner Werke steht jedoch über allen anderen millerschen Comic Trips. Sin City. Das Destillat aus Hardboiled Novel, Film Noir und auf die Spitze getriebenen deutschem Expressionismus der 20er und 30er Jahre. Mit Neo Noir wird so etwas gerne umschrieben. Doch Millers Sin City ist noch eine ganze Nummer härter, zynischer, sadistischer und vor allem visuell reduzierter als alles andere was man zuvor unter dem Begriff Noir eingestuft hatte. Sin City ist Blut, Schweiß, Leidenschaft im dunkelstem Schwarz. Es gibt nur gefährliche Gute und noch gefährlichere Böse. Die Frauen stark und doch so verletztlich, die Kerle hart und doch so romantisch. Miller hätte sein Baby niemals an Hollywood verkauft, Sin City übertritt durchgehend sowohl erzählerische als auch darstellerische Grenzen. Doch Robert Rodriguez, der schon Jahre zuvor mit
From Dusk till Dawn bewiesen hat diese Grenzüberschreitungen virtuos in einem Film verpacken zu können, ohne daß sich der Zuschauer angewiedert abwenden muß, ließ nicht locker und überzeugte Miller letztendlich davon das Werk Millers Vorstellungen entsprechend in die Kinos bringen zu können. Wahrscheinlich war es Rodriguez' Leidenschaft, die Miller imponierte und ihm sein Vertrauen schenken ließ. Leidenschaft - darum geht es auch hauptsächlich in Sin City.
Leidenschaft, das ist es was Sin Citys Charaktere ausmacht. Marv, dieser Schläger im Ledermantel. So häßlich, daß er sich eine Frau bisher noch nicht einmal kaufen konnte. Und dann verbringt er plötzlich doch diese eine Nacht mit Goldie - daß sie eine Hure war, daß wußte er nicht und ändert auch nichts an der Sache. Jetzt liegt sie tot neben ihm im herzförmigen Bett und er wird ihren Tod rächen. Das Töten ihrer Mörder wird ihn nicht befriedigen, aber alles was er vorher mit ihnen anstellt wird für ihn ein Genuß sein, aber auch sein eigener Untergang. Am Ende ist auch Hartigan, einer der wenigen nicht korrupten Cops der Stadt. Zwei Tage noch bis zu seiner Pension, sein Herz schwach, doch dieses kleine Mädchen in den Händen des Kinderschänders muß er noch retten. Kostet es was es wolle, dafür geht er sogar in den Knast, läßt sich für Taten schuldig sprechen, die er nie begangen hat. Auch er wird nicht überleben. Ein alter Mann stirbt, ein junges Mädchen lebt – Fairer Tausch. Nicht zuletzt Dwight, der gesuchte Mörder mit neuem Gesicht und Frauenbeschützer mit dem Hang zu Amazonen. Gerade auf den Weg in eine ruhigere Zukunft verheddert er sich schon wieder in so eine selten dämliche aber in Sin City wohl typische Geschichte. Getötet werden muß nicht aus Rache, nicht um die Welt besser zu machen, sondern um zu zeigen was es kostet sich mit den Mädchen in Old Town anzulegen. Es ist Dwights Leidenschaft für die Frau, die ihn zum Mörder werden läßt.

Natürlich mußten auch Miller und Rodriguez bei der Umsetzung des Gewaltepos in bewegte Bilder Zugeständnisse an den Sehnerv des Zuschauers machen. Sicherlich, der Film ist immer noch hauptsächlich Schwarz/Weiß, und das ist schon etwas besonderes für einen Film, der allein in Deutschland über eine Million Menschen in die Kinos lockte, doch das pure Schwarz und Weiß der Bücher, das gibt es im Film nur selten zu sehen. Und Rodriguez und Miller taten gut daran nicht allzu dogmatisch vorzugehen, denn wie anstrengend solch ein nur in Schwarz und Weiß gehaltener Film werden kann, zeigte uns vor zwei Jahren Christian Volckman mit seinem zwar ambitionierten aber absolut unanschaubaren Neo Noir Thriller
Renaissance. Doch all das andere, was die Bücher und ihre Geschichten ausmacht, das konnten die Beiden gottlob retten. Die Stilisierung der Brutalität, die überspitzte Ästhetik des Noirs, nicht nur die visuelle sondern auch die verbale Härte Sin Citys. All das ist auch im Film zu bewundern. Einen ausgeprägten Hang zum Pulp und zum Comic muß der Zuschauer selbstredend schon mitbringen um an dem Gehörten und Gesehenen Gefallen zu finden. Denn wie in keiner Comic Adaption zuvor lassen Rodriguez und Miller Comic und Film verschmelzen. Für Sin City wurde nicht wie sonst üblich ein Drehbuch geschrieben, nein Millers Vorlage war direkt Drehbuch und Storyboard in einem. Es scheint als wären Kameraeinstellungen, Handlungen und Text 1:1 den Büchern entnommen, und genau das ist es was Sin City so einmalig macht. Die Texte der Protagonisten, die ihre Gedanken, Kommentare zum Geschehen schildern, sind das eigentliche erzählerische Element, die die Geschichten vorantreiben. Die dazugehörigen Bilder nur visuelles Medium um den Sarkasmus und Zynismus Millers Phantasiewelt auf den Punkt zu bringen. Sin City ist mehr Filmhörcomic als klassische Verfilmung. Wenn man den Film sieht und die Bücher kennt, kann man Millers Zeichnungen wiedererkennen, umgekehrt funktioniert es noch besser. Denn der Film hat einen Vorteil gegenüber dem Comic, den fantastischen Score von John Debny, Graeme Revell und Robert Rodriguez selbst. Treibend, dramatisierend und verdammt retrospektiv. Eine Hymne auf die Schwarze Serie und doch nicht eine Sekunde mehr Raum als nötig für sich beanspruchend. Im aktuellem Actionkino eine Seltenheit, denkt man an die musikalischen Verbrechen, die viele Blockbuster seit den 90ern begleiten. In denen versucht wird Dramatik und Dynamik mit dem Lautheitspegel herzustellen. Ein Graus, ein Score sollte unterstreichen, pointieren aber niemals das Bild unterdrücken. Sin Citys Score schafft das mit Leichtigkeit.
Besetzt ist dieses Stück digitale Kunst bis in die kleinste Rolle hinein mit absoluten Hochkarätern, mal mehr, mal weniger bekannt. Von Bruce Willis als Hartigan bis zum hierzulande wohl eher unbekannten, jedoch nicht weniger charismatischen Powers Boothe als Senator Roarke. Wenn Rourke Hartigan noch am Krankenbett erklärt warum Hartigan nie gegen ihn gewinnen kann, ist das nur eine unter vielen Szenen die dichter nicht sein könnten. Zwei Wiederentdeckungen hat der Film zu bieten. Zum einen ganz bestimmt Mickey Rourke als Marv unter einer ihn fast unkenntlich machenden Maske. Wie er die Rolle des Barbaren im Trenchcoat allein durch seine körperliche Präsenz ausfüllt und dabei jedoch genug Humor mitbringt um seine Figur nicht ins lächerliche abdriften zu lassen ist schon allein ein Highlight der letzten Kinojahre. Und zum zweiten die Ikone des 80er B-Movies Rutger Hauer als Kardinal Roarke. In einer als Referenz zu Marlon Brandos Auftritt in Coppolas Apocalypse Now anzusehenden Szene setzt er sich wohl selbst ein Denkmal. Noch nie wurde Pulp, auch nicht in Tarantinos Werken, mit so einer schauspielerischen Intensivität vorgetragen wie bei seinem leider sehr kurzem Auftritt in Sin City. Da kann man selbst Jessica Alba verkraften, deren Rolle zum Glück nicht mehr von ihr verlangt als sich selbst zu spielen. Doch in Albas Rolle kann man vielleicht am besten ablesen was Sin City eigentlich ist. Der völlig durchgestylte, ästhetisierte, feuchte Traum nicht nur pubertierender Jungen.
10/10 Punkte