
Tomas Alfredsons Genre Crossover interpretiert John A. Lindqvists literarische Vorlage glücklicherweise nicht als weiteren skandinavischen Thriller, sondern in erster Linie als einen durchaus schwarzhumorigen Diskurs über Beziehungen, Freundschaften und Abhängigkeiten, der sich keinesfalls hinter dem Coming of Age Sujet und der klassischen Vampirgeschichte versteckt. Wenn Håkan in der U-Bahn sitzt und bemerkt, daß er den Kanister mit dem für Eli bestimmten Blut während seiner Flucht vom letzten Tatort im Park vergessen hat, dann kann man in seinen Augen nicht nur die Angst vor dem und seine Sorge um das Vampirmädchen erblicken, sondern auch die Furcht vor dem Ende ihres Bundes. Eli hat schon längst Interesse an dem blonden Oskar gewonnen, der nur allzu gerne seiner Wut über die täglichen Demütigungen freien Lauf lassen würde, in dessen Gewaltfantasien sich schon längst die erschreckenden Warnzeichen eines späteren psychopathischen Mörders entdecken lassen können. Håkan spürt das nahende Ende der Beziehung, sein Versagen wird es nur beschleunigen. Geradezu hilflos bittet er Eli sich nicht mehr mit dem Jungen zu treffen. Denn gleichwohl, wie Eli abhängig von Håkans Status als Ernährer und Erwachsener ist, der ihrem andersartigen Leben eine Tarnung verschafft, ist auch Håkan von ihr abhängig. Von ihrem Geld, von ihrer Gesellschaft. Zu alt ist er, um sich ein neues Leben aufzubauen. So ist sein Freitod nach dem erneuten Versagen in den Umkleideräumen der Blackeberger Schule nicht nur das von ihm selbst vorweggenommene Ende dieser Beziehung, geschieht dieser nicht nur zum Schutz seiner tragischen Schutzbefohlenen. Nein, er ist vor allem Ausdruck schlichter Ausweglosigkeit. Gerade in dieser Szene spiegelt sich Alfredsons äußerst pessimistischer Blick auf Freundschaften und Beziehungen. Nicht eine Beziehung in seinem Film, die nicht zu einem guten Stück vom eigenen Vorteil motiviert scheint. Sei es Oskars Vater, dessen Interesse an seinem Sohn schwindet, sobald sich die Gelegenheit zum Umtrunk mit dem Freund ergibt oder auch gerade Eli, die ihrer Sympathie für Oskar erst freien Lauf läßt, nachdem Håkan gegangen ist. Die Freundschafts Oskars Peiniger beruht auf einem wackeligen Hierachiesystem, das in Gebieter und ausführenden Sklaven unterteilt, deren Lohn die Duldung in der Gruppe zu sein scheint. Bei aller Schwarzmalerei verneint Alfredson jedoch nie die ehrlichen Gefühle, die die Figuren seiner Geschichte füreinander hegen, und sorgt so für fließende Grenzen, für eine stete Unsicherheit im Fortgang der Geschichte, die nicht unerheblich für die durch und durch melancholische Atmosphäre des Films verantwortlich ist. Geradezu gemein geht sie mit dem Schicksal ihres Protagonisten um. Da schenkt sie Oskar nicht nur eine Freundin, sondern vielleicht auch seine erste zarte Liebe, und dann ist diese doch auch schon wieder für ihn so unerreichbar. Eli ist kein Mädchen, mit dem man über die Frühjahrskirmes schlendern und Zuckerwatte schlecken könnte. Da läßt sie Oskar endlich gegen seine Widersacher aufbegehren, doch statt Erlösung von den Qualen eines Gemobbten erfährt Oskar schließlich nur eine gefährliche Steigerung des schon zuvor Erlebten. Selbst das Ende der Geschichte, das Oskar ein Siegerlächeln ins Gesicht zaubert, ist ein eiskaltes, wissen wir doch um das Ende Håkans. Aber das ist vielleicht auch nur der eingangs erwähnte skandinavische Humor, der sich tief unter der Oberfläche der Geschichte in seinem schwärzesten Schwarz gibt, so wie man in den nördlichen Breitengraden eben den traurigen Dingen des Lebens begegnet.
Alfredson schildert die Trostlosigkeit der Provinz in fantastisch fotografierten Bildern, nur selten ist ein Farbtupfer inmitten des winterlichen Graus der 60er und 70er Jahre Architektur zu finden, die die Tristesse Oskars und Elis Welten noch stärker zum Vorschein bringt. Während sich Elis Unterschlupf als minimalistisch eingerichteter Hort der Leere gibt, der metaphorisch auf ihr wohl ebenso leeres Leben hindeutet, muß Oskar mit den farblosen Wänden seines Klassenzimmers vorliebnehmen, auf dem Nachhauseweg an schier unendlichen Garagenhöfen entlang trotten. Kalt ist es in Blackeberg für die beiden Pubertierenden, da gibt es keine Wärme, nur die, die sie sich selbst entgegenbringen möchten. Was ihnen anfangs aufgrund ihrer Hilflosigkeit, die sich aus Oskars innerlicher Verschlossenheit und Elis Angst vor sich selbst ergibt, sichtlich schwer zu fallen scheint, und von Alfredson mittels imponierender Bildsprache in liebevoll komischen als auch erschreckend grausamen Szenen erzählt wird. Fenster und Türen erfüllen in Alfredsons Film nicht nur die Funktion des Symbols örtlicher Trennung und sind keinesfalls als schnödes Gimmick des Vampirtopos zu verstehen. Let the Right One in, so der internationale Titel, ist ganz starkes Kino, das voll und ganz der Kraft der tief in uns allen verankerten Ängsten vor Einsamkeit, Ablehnung und Demütigung vertraut, von Grenzen erzählt, die wir bereit sind, zu überschreiten, um nicht allein zu sein. Von unserer Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe. Das aber auch ganz nebenbei ohne erhobenen Zeigefinger auf unsere dunkle Seite hinzuweisen versteht. Der Wunsch nach und die Ausübung von Macht ist ein gleichberechtigter Aspekt in Alfredsons Schauermär. Das macht seinen Film nicht nur zu einem ungewöhnlich mutigen Genrebeitrag, der sich weitestgehend den momentan herrschenden Gesetzen des scheinbar nur noch auf Schauwerte reduzierten Horrorkinos entzieht, sondern zu einem frostigen und anspruchsvollen Schatz der jüngeren Kinogeschichte. Großartig.
10/10 Punkte