Auch wenn es Premiere und Co. immer wieder suggerieren, man muß nicht jedes Bundesligaspiel seiner Mannschaft auf der Mattscheibe in voller Länge beiwohnen. Ein Bundesligaspiel ist in der Mehrzahl der Fälle unspektakulär. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Ausnahmen sind im Bundesligaalltag meist in der Endphase der Saison zu erwarten, oder eben wenn direkte Tabellennachbarn aufeinander treffen. Aber auch nur dann, wenn es um etwas wirklich wichtiges geht. Das Erreichen eines internationalen Pokalwettbewerbs, die Meisterschaft oder auch dem Entrinnen der Abstiegsränge. Diese Spiele sehe ich mir natürlich auch gerne in voller Länge an. Keine Frage.
Aber Schalke - Cottbus? Nee, so ein mit Mühe und Not erreichtes 1:0 oder 2:0, das muß ich mir nicht geben. Da steht die Lausitz über 90 Minuten mit 11 Mann im eigenem Strafraum und man muß schon eine Standartsituation abwarten um eine Torchance beklatschen zu können. Vielleicht hilft ja auch ein Ellenbogencheck von da Silva zum Torerfolg. Ja, ich weiß. Cottbus hat zuletzt nicht schlecht gespielt, aber seien wir mal ehrlich. Haben die jemals etwas Zählbares aus Gelsenkirchen mit nach Hause genommen?
Gestern Abend war aber alles anders. Ich lauschte der DFL Liga Radio Konferenz und wurschtelte so nebenbei ein wenig herum. Rekorder Tipps für die nächste Woche vorbereiten, Berichte und Kommentare zu den letzten Ereignissen auf Schalke sichten, Butterbrot schmieren, Flasche Bier trinken... Normalerweise bekommt in dieser Saison bei Konferenzschaltungen über Spiele mit Schalker Beteiligung nicht viel zu hören. Höchstens solche Dinge wie Karlsruhe ist Schalke technisch überlegen oder Schalke steht jetzt tief in der eigenen Hälfte. Ansonsten passieren die aufregenden Dinge auf den anderen Plätzen.
Gestern war jedoch alles anders. Zwar glich die Berichterstattung in den ersten 30 Minuten denen von den übrigen Spielen dieser Saison. Schalke gibt Gas... Chance für Schalke... Jetzt Cottbus mit einer Möglichkeit... Aber es fiel schon auf, daß die Konferenz mehr aus Gelsenkirchen berichtete als gewohnt. Ich konnte mich gar nicht mehr so richtig auf mein Rumwurschteln konzentrieren, so oft wurde nach Gelsenkirchen geschaltet. Und so kam es auch, daß ich das erste Tor des Abends in seiner Entstehung live geschildert bekam. "Pander mit dem Freistoß...bringt ihn auf den langen Pfosten... Bordon... nein, da Silva... Eigentor da Silva....". So weit, so normal in dieser Saison. In der festen Annahme, daß Schalke nun einen Gang zurück schaltet, wie es in dieser Saison bisher immer der Fall war, ging ich erst einmal in die Küche um mir eine weitere Flasche Bier aus dem Kühlschrank zu organisieren. Zurück am Radio traute ich meinen Ohren nicht, die waren schon wieder in Gelsenkirchen und schon wieder bekam ich ein Schalker Tor live geschildert. "Ernst passt scharf in den Strafraum...Kuranyi... Tooor für Schalke, aber ein Cottbusser war noch mit dem Fuß dazwischen...nein, er gibt das Tor für Kevin Kuranyi...". Meine Laune stieg an, die anderen Stadien waren nun aber auch mal dran. Doch da passierte nicht wirklich viel. Und dann wieder die Schalte nach Gelsenkirchen:"Toor auf Schalke...", ich weiß was jetzt kommt, Anschlußtreffer für Cottbus, war ja klar, "Toor für Schalke...", ich kann es kaum glauben, "Toooor für Kevin Kuranyi...".
Ich kann diese Melange aus Ungläubigkeit, Erstaunen und Freude gar nicht in Worte fassen, die mich in diesem Moment erfaßte. Wie mies war doch in letzter Zeit die Stimmung auf Schalke. Wie mies die Berichterstattung in den Qualitätsmedien (selbsternannten), die Stimmung auf den Schalke Blogs, in den Foren... Wie befreiend doch dieses 3:0 in diesem Moment wirkte. Zum ersten Mal seit langem wurde Schalke seiner Favoritenrolle gerecht. Zum ersten mal in dieser Saison konnte man schon vor der Halbzeit davon ausgehen, das Ding ist in trockenen Tüchern. Bei allem Respekt, aber Cottbus würde diese 3 Tore niemals aufholen. In der zweiten Hälfte legte sich Schalke Cottbus weiter zurecht und Kevin Kuranyi kam noch zu zwei weiteren Treffern. Schalke zog sich nicht in die eigene Hälfte zurück, gab das Spiel nicht an den Gegner ab. Toll, einfach wunderbar, Balsam auf die Wunden der vergangenen Tage und Wochen.
Ich weiß, es gibt nicht wenige, die hätten Schalke im Spiel 1. nach der Trainerentlassung eine Niederlage oder ein torloses Unentschieden gewünscht. Die kommen jetzt aus den Ecken und versuchen die Freude über den Sieg mit dem Hinweis auf Cottbus schlechtes Spiel zu schmälern. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und so weiter und so fort... Kann ich alles akzeptieren. Natürlich kann man jetzt nicht davon ausgehen, daß Schalke bis zum Ende der Saison so weiter spielt. Natürlich sind die kommenden Spiele gegen den HSV, Frankfurt und auch Bochum auswärts nicht mit dem gestrigen Spiel nicht zu vergleichen. Und mir ist auch vollkommen klar, daß Mike Büskens und Youri Mulder in den 2 Tagen Arbeit auf Schalke nichts Grundlegendes verändern konnten.
Aber diese Befreiung, die der Mannschaft gestern Abend anzumerken war, diese plötzliche Spielfreude, diese Aufbruchstimmung, die kann man nicht übersehen haben. Die kann man nicht weg diskutieren. Da scheint sich ein Kloß im Hals gelöst zu haben. Ein dicker Kloß.
Das Traumschiff: Argentinien (2024)
vor 2 Stunden
4 Kommentare:
Ich konnte es gestern kaum glauben, als mir erzählt wurde, Schalke hätte 5:0 gewonnen. Als ich's dann mit eigenen Augen gesehen hatte, bin ich gleich zum PC gelaufen um zu sehen, was Du dazu geschrieben hast. Da war noch nix, aber auch heute macht's noch Freude Deine Beschreibung des Abends zu lesen.
Ein fettes Danke! Das geht runter wie Öl.:D
Entrer agent provocateur ;)
Ich will es mal so sagen, letzte Woche war es dieselbe Mannschaft, d.h. es liegt in meinen Augen nicht am Müskens-Gespann, dass Schalke gewonnen hat, sondern an der Einstellung der Mannschaft. Wenn die gewollt hätten, hätten sie auch die letzten Spiele so überzeugen können. Mir kann keiner erzählen, dass Kuranyi plötzlich deswegen vier Tore schießt, weil der Büskens zu ihm aufs Zimmer kommt und sagt "Hey, Kevin, du bist einer der besten Stürmer Europas, arschleck, schleimtrief, etc.". Solche Spieler hab ich gern, die mit angezogener Handbremse spielen und dann auf einmal aufblühen, nur weil der Trainer, den sie nicht so mochten, auf einmal weg ist. Scheiß-Fußball-Millionäre trifft es wohl am besten.
Generell natürlich Glückwunsch zum Sieg, die Art und Weise von diesem hat jedoch einen sehr sehr bitteren Nachgeschmack.
Ach, Du alter Miesepeter. Das habe ich doch alles im Artikel untergebracht. Zumindest zwischen den Zeilen;)
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