So finster die Nacht

„Wir können keine Freunde werden, nur dass du das weißt.“ Der stille 12 jährige Oskar aus Blackeberg könnte nichts dringender gebrauchen als einen Freund. In der Schule wird er von seinen Mitschülern gemobbt, immer öfter durchdringen die bedrohlichen Oskar-Rufe seiner Peiniger die Flure der Einheitsschule. Oskar, der heutzutage auf dem Schuhlhof von seinen Widersachern wohl als „Opfer“ bezeichnet würde, hat es nicht leicht. In der Plattenbausiedlung, in der er mit seiner alleinerziehenden Mutter im Jahre 1982 wohnt, scheint es auch niemanden zu geben mit dem er die Zeit zwischen dem letztem und erstem Läuten der Schulglocke verbringen könnte. So ist er doch meistens allein, sammelt Zeitungsberichte über Mordfälle und malt sich in seiner Fantasie Rachepläne aus. „Schrei Schwein, schrei!“. Immer wieder sticht Oskar mit dem Jagdmesser auf seine imaginären Gegenüber ein. In seinem Zimmer und abends im dunklen verlassenen Hof. Doch plötzlich gibt es eine Veränderung in Oskars Leben. Direkt neben ihm zieht dieses komische Mädchen mit einem älteren Herrn ein. Die abgedunkelten Fenster der Wohnung zeugen von einem Geheimnis. Eli, dieses ebenfalls 12 Jahre alte Mädchen, ist ein Vampir. Håkan ihr menschlicher Beschützer und Ernährer, der nachts mit der Routine vieler Jahre die Opfer aufspürt und ihnen das Blut abläßt. Wer würde diese gefahrvolle Arbeit schon einem kleinen Mädchen überlassen ...

Tomas Alfredsons Genre Crossover interpretiert John A. Lindqvists literarische Vorlage glücklicherweise nicht als weiteren skandinavischen Thriller, sondern in erster Linie als einen durchaus schwarzhumorigen Diskurs über Beziehungen, Freundschaften und Abhängigkeiten, der sich keinesfalls hinter dem Coming of Age Sujet und der klassischen Vampirgeschichte versteckt. Wenn Håkan in der U-Bahn sitzt und bemerkt, daß er den Kanister mit dem für Eli bestimmten Blut während seiner Flucht vom letzten Tatort im Park vergessen hat, dann kann man in seinen Augen nicht nur die Angst vor dem und seine Sorge um das Vampirmädchen erblicken, sondern auch die Furcht vor dem Ende ihres Bundes. Eli hat schon längst Interesse an dem blonden Oskar gewonnen, der nur allzu gerne seiner Wut über die täglichen Demütigungen freien Lauf lassen würde, in dessen Gewaltfantasien sich schon längst die erschreckenden Warnzeichen eines späteren psychopathischen Mörders entdecken lassen können. Håkan spürt das nahende Ende der Beziehung, sein Versagen wird es nur beschleunigen. Geradezu hilflos bittet er Eli sich nicht mehr mit dem Jungen zu treffen. Denn gleichwohl, wie Eli abhängig von Håkans Status als Ernährer und Erwachsener ist, der ihrem andersartigen Leben eine Tarnung verschafft, ist auch Håkan von ihr abhängig. Von ihrem Geld, von ihrer Gesellschaft. Zu alt ist er, um sich ein neues Leben aufzubauen. So ist sein Freitod nach dem erneuten Versagen in den Umkleideräumen der Blackeberger Schule nicht nur das von ihm selbst vorweggenommene Ende dieser Beziehung, geschieht dieser nicht nur zum Schutz seiner tragischen Schutzbefohlenen. Nein, er ist vor allem Ausdruck schlichter Ausweglosigkeit. Gerade in dieser Szene spiegelt sich Alfredsons äußerst pessimistischer Blick auf Freundschaften und Beziehungen. Nicht eine Beziehung in seinem Film, die nicht zu einem guten Stück vom eigenen Vorteil motiviert scheint. Sei es Oskars Vater, dessen Interesse an seinem Sohn schwindet, sobald sich die Gelegenheit zum Umtrunk mit dem Freund ergibt oder auch gerade Eli, die ihrer Sympathie für Oskar erst freien Lauf läßt, nachdem Håkan gegangen ist. Die Freundschafts Oskars Peiniger beruht auf einem wackeligen Hierachiesystem, das in Gebieter und ausführenden Sklaven unterteilt, deren Lohn die Duldung in der Gruppe zu sein scheint. Bei aller Schwarzmalerei verneint Alfredson jedoch nie die ehrlichen Gefühle, die die Figuren seiner Geschichte füreinander hegen, und sorgt so für fließende Grenzen, für eine stete Unsicherheit im Fortgang der Geschichte, die nicht unerheblich für die durch und durch melancholische Atmosphäre des Films verantwortlich ist. Geradezu gemein geht sie mit dem Schicksal ihres Protagonisten um. Da schenkt sie Oskar nicht nur eine Freundin, sondern vielleicht auch seine erste zarte Liebe, und dann ist diese doch auch schon wieder für ihn so unerreichbar. Eli ist kein Mädchen, mit dem man über die Frühjahrskirmes schlendern und Zuckerwatte schlecken könnte. Da läßt sie Oskar endlich gegen seine Widersacher aufbegehren, doch statt Erlösung von den Qualen eines Gemobbten erfährt Oskar schließlich nur eine gefährliche Steigerung des schon zuvor Erlebten. Selbst das Ende der Geschichte, das Oskar ein Siegerlächeln ins Gesicht zaubert, ist ein eiskaltes, wissen wir doch um das Ende Håkans. Aber das ist vielleicht auch nur der eingangs erwähnte skandinavische Humor, der sich tief unter der Oberfläche der Geschichte in seinem schwärzesten Schwarz gibt, so wie man in den nördlichen Breitengraden eben den traurigen Dingen des Lebens begegnet.

Alfredson schildert die Trostlosigkeit der Provinz in fantastisch fotografierten Bildern, nur selten ist ein Farbtupfer inmitten des winterlichen Graus der 60er und 70er Jahre Architektur zu finden, die die Tristesse Oskars und Elis Welten noch stärker zum Vorschein bringt. Während sich Elis Unterschlupf als minimalistisch eingerichteter Hort der Leere gibt, der metaphorisch auf ihr wohl ebenso leeres Leben hindeutet, muß Oskar mit den farblosen Wänden seines Klassenzimmers vorliebnehmen, auf dem Nachhauseweg an schier unendlichen Garagenhöfen entlang trotten. Kalt ist es in Blackeberg für die beiden Pubertierenden, da gibt es keine Wärme, nur die, die sie sich selbst entgegenbringen möchten. Was ihnen anfangs aufgrund ihrer Hilflosigkeit, die sich aus Oskars innerlicher Verschlossenheit und Elis Angst vor sich selbst ergibt, sichtlich schwer zu fallen scheint, und von Alfredson mittels imponierender Bildsprache in liebevoll komischen als auch erschreckend grausamen Szenen erzählt wird. Fenster und Türen erfüllen in Alfredsons Film nicht nur die Funktion des Symbols örtlicher Trennung und sind keinesfalls als schnödes Gimmick des Vampirtopos zu verstehen. Let the Right One in, so der internationale Titel, ist ganz starkes Kino, das voll und ganz der Kraft der tief in uns allen verankerten Ängsten vor Einsamkeit, Ablehnung und Demütigung vertraut, von Grenzen erzählt, die wir bereit sind, zu überschreiten, um nicht allein zu sein. Von unserer Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe. Das aber auch ganz nebenbei ohne erhobenen Zeigefinger auf unsere dunkle Seite hinzuweisen versteht. Der Wunsch nach und die Ausübung von Macht ist ein gleichberechtigter Aspekt in Alfredsons Schauermär. Das macht seinen Film nicht nur zu einem ungewöhnlich mutigen Genrebeitrag, der sich weitestgehend den momentan herrschenden Gesetzen des scheinbar nur noch auf Schauwerte reduzierten Horrorkinos entzieht, sondern zu einem frostigen und anspruchsvollen Schatz der jüngeren Kinogeschichte. Großartig.

10/10 Punkte

13 Kommentare:

Flo Lieb hat gesagt…

Ach du meine Güte.

C.H. hat gesagt…

"und sind keinesfalls als schnödes Gimmick des Vampirtopos zu verstehen"

Nichts desto trotz fungieren Fenster und Türen aber auch hier als Bestandteil des klassischen Vimpir-Topos, werden aber eben in diesem Fall - du sagst es ja - nicht als schnödes Gimmick eingesetzt, sondern als überaus intelligente Metapher. Ansonsten stimme ich natürlich zu, hätte aber auch nicht gedacht das du dem Film 10/10 gibst. Kann man aber natürlich ohne Probleme machen. ;-)

tumulder hat gesagt…

Ja, was soll man machen, ich gebe die 10 Punkte nur äußerst selten heraus. Ich habe nach natürlich auch nach dem Haar in der Suppe gesucht, doch einfach keines gefunden. In Alfredsons Film hat alles Hand und Fuß, dazu der Mut Kinder in einem Erwachsenenfilm als Hauptdarsteller auftreten zu lassen, die Kamera, der Score, eine Story, die so noch nicht erzählt wurde, der Humor, CGI, die nicht als solche auf Anhieb zu erkennen ist. Ich finde einfach keinen Grund hier auch nur einen Punkt abzuziehen. Der Film ist einfach ein Knaller in jeglicher Hinsicht.

Mr. Hankey hat gesagt…

Als Meisterwerk würde ich ihn zwar nicht bezeichnen, aber als extrem guten Film, der in meiner persönlichen Top 10 2008 auf Platz 9 gelandet ist! :-)

Zum Kotzen, dass eine BD hierzulande noch nicht angekündigt ist! ;-(

Rajko Burchardt hat gesagt…

Schöner Text. Der Film gibt psychoanalytisch eine Menge her. Auch auf "queerer" Ebene.^^

10/10 sind vertretbar.

tumulder hat gesagt…

Ja, die queere Ebene entsteht aus der universalen Betrachtungsweise von Machtverhältnissen und Motivationen innerhalb von Beziehungen. Man sollte den Film ruhig mehrmals sehen, denn vielleicht ist man bei der ersten Sichtung doch ein wenig zu sehr auf die Vampirgeschichte konzentriert.

Kaiser_Soze hat gesagt…

Ich find den auch ganz, ganz groß. Allerdings sah ich ihn mir damals mit ein paar Kumpels im Kino an, von denen höchstens einer überhaupt Interesse an solch einer Art von Kino besitzt. Das zerstörte eigentlich die ganze Atmospähre. Egal, Zweitsichtung folgt ganz sicher auf dem Player.

jotdot hat gesagt…

wunderbarer Film!!
still-packend-anders
mit diesen drei Wörtern würde ich ihn spontan beschreiben.

Hab den schwedischen Meisterstreifen in einem tollen kleinen Independent-Kino in Graz gesehen...besser gehts nicht!

9/10 Punkten (es braucht immer Platz nach oben ;)

tumulder hat gesagt…

Wenn es nicht besser geht, dann muß auch die Höchstwertung her. Sonst erinnert mich das an meinen Lateinlehrer, der beim Vokabeltest trotz 0 Fehler immer nur ein Gut gegeben hat. Seiner Auffassung nach waren 100% nur gut.^^

TAPETRVE hat gesagt…

Abgesehen davon, dass mir das Review etwas zu entschieden auf einer (falschen) Interpretation festgefahren ist, mal wieder ein hervorragender Read.

tumulder hat gesagt…

Danke. Aber falsche Interpretation? Gibt es so etwas eigentlich wirklich? Ich denke jeder nimmt etwas anderes aus dem Kino mit nach Hause, und je mehr Möglichkeiten ein Film bietet, desto besser.;)

Dein Link führt leider ins Internetnirvana.:(

TAPETRVE hat gesagt…

Bitte vielmals um Verzeihung. Hier kommt der korrekte Link :D .

Was die Interpretation betrifft: Freilich, falsch kann sie nur sein, wenn sie von Fakten widerlegt wird. Wenn man das Buch kennt, sieht man den Ausgang der Geschichte jedenfalls mit anderen Augen. Aber auch bei wiederholtem Ansehen und Reflektieren des Films dürfte man schnell feststellen, dass der erste Gedanke (der freilich naheliegt) vielleicht doch etwas kurzsichtig war.

tumulder hat gesagt…

@tapetrve
Wie das so mit Literaturverfilmungen immer so ist. Ich denke die Vorlage darf, muß aber nicht für den Zuschauer als das Maß aller Dinge bezüglich der Interpretation des Stoffes gelten. Natürlich birgt der Film noch mehr Inhalt als in meiner Review angesprochen. Keine Frage, das macht ihn so universell und meisterlich. Doch wenn ich das Grundgerüst nehme, das Thema auf den kleinsten gemeinsamen Nenner kürze, dann bleibt für mich genau das übrig, was ich in meiner Review beschrieben habe. Unabhängig von der Vorlage, die hier ja gar nicht das Thema sein kann. Genauso wenig wie z.B. bei Jacksons LOTR Trilogie, der aus Tolkiens weitaus tiefsinnigere Vorlage eine Action-Lovestory zauberte.

Kommentar veröffentlichen

Kommentare zu Blogeinträgen, die älter als sieben Tage sind werden weiterhin von mir moderiert. Sei freundlich, fair und bleib beim Thema.