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Lieblingsszenen V

Don Ciro ist Mafiabuchhalter. Er versorgt die Hinterbliebenen toter Camorra Soldaten oder Familien deren Ernährer in Haft sitzen mit der semmana. Mit der Zuspitzung der Fehde innerhalb der verschiedenen Camorra Clans gerät auch er immer mehr unter Druck, da ihm das Budget für die regelmäßigen Zahlungen gekürzt wird. Die Situation ist sehr angespannt. Während Don Cito das Geld für die nächsten Zahlungen zählt, er untergeben und verängstigt feststellt, daß es wieder weniger ist, was er den Familien und Hinterbliebenen auszahlen kann, fallen aus heiterem Himmel Schüsse. Sein Boß fällt tot zusammen. Ehe er und der Zuschauer realisieren kann was überhaupt geschieht, wird ihm die Pistole von Unbekannten an den Kopf gehalten und das Geld gestohlen. Langsam und vorsichtig verläßt er den Ort des Verbrechens, steigt über die Leichen der draußen ermordeten Clanmitglieder ohne sie weiter zu beachten. Ängstlich geht er die nur wenige Meter entfernte Straße hinauf, eng an der Mauer entlang. Langsam rückt die stark befahrene Hauptstraße ins Bild. Niemand in den vorbeifahrenden Autos wird etwas von den Morden bemerkt haben, obwohl das Verbrechen lediglich einen Steinwurf neben ihnen geschehen ist. Garrone gelingt es mit dieser einzelnen Szene die ganze Brutalität, die Skrupellosigkeit, den geballten Abschaum des organisierten Verbrechens unterzubringen von denen sein Film erzählt. Die volle Wirkung dieser Szene entfalltet sich jedoch erst in ihrer Pointe. Das Verbrechen ist unter uns, auch wenn wir es nicht sehen können. Grandioses Kino.

Gomorrha - Reise ins Reich der Mafia

Matteo Garrone, Italien 2008

Apokalyptisch - Gomorrha

Roberto Savianos Tatsachenroman Gomorrha muß mehr brisantes Material enthalten als man sich vorstellen kann. Morddrohungen seitens der neapolitanischen Mafiaorganisation Camorra lassen Saviano nur noch unter Polizeischutz an geheimen Orten leben. 80% der Geschäfte Neapels sollen unter der Kontrolle der Camorra stehen, von 1979 bis 2005 gehen mindestens 3650 Morde auf ihre Rechnung. Roberto Savianos Buch ist seit seinem Erscheinen nicht mehr aus den Bestsellerlisten wegzudenken und wurde nun von Matteo Garrone verfilmt.

Gomorrha ist kein romantischer Mafiafilm, der das Leben der Gangster als gefährliches Abenteuer schildert oder von ehrbaren Verbrechern erzählt. Im Fokus stehen fünf von einander unabhängige Handlungsstränge. Die Figuren hat Garrone so geschickt ausgewählt, daß sie zum einen die einzelnen Generationen und zum anderen die verschiedenen Geschäftsfelder des organisierten Verbrechens abdecken. Von Toto dem dreizehnjährigen Jungen, der mit seiner Mutter allein über die Runden kommen muß und von einer Karriere als Gangster träumt bis hinauf zu Franco, der auf der Ebene des gehobenen Managements Giftmüllentsorgunggeschäfte organisiert. Ohne Exposition wird der Zuschauer Zeuge ihres Lebens, keine erklärenden Worte, ihre Charakterzeichnung, ihre Motivation ergibt sich aus den Dialogen und den teils verstörenden Bildern, die Garrone virtuos fast ausschließlich mit der Handkamera filmt. Die heruntergekommenen authentischen Drehorte in den Armenvierteln Neapels und das öde Umland wirken fast postapokalyptisch oder zumindest nicht von diesem Kontinent. Und es ist gerade diese Armut die, die Camorra zu ihrem Vorteil nutzt, aus deren Pool von jungen Männern mit aussichtsloser Zukunft sie ihre Mitglieder rekrutiert. Wenn man als einfacher Drogenkurier locker das zehnfache verdient wie ein Pizzabäcker fällt die Entscheidung leichter eine kriminelle Laufbahn einzuschlagen. Zumal wenn man allerorts mit den Geschäften des organisierten Verbrechens konfrontiert wird. Wenn der Freund, der Nachbar, der Vater selbst diesen Weg gewählt hat. Vielleicht aus der Not oder halt aus der Naivität heraus wie der dreizehnjährige Toto. Das ist es was Garrones Film vermittelt, nicht die Geschäfte stehen im Vordergrund sondern die Selbstverständlichkeit in der die Camorra das Leben der Neapolitaner konterminiert. Sie ist nicht nur Krebsgeschwür im gesellschaftlichen Konstrukt, sie hat schon längst den Körper mit ihren Metastasen durchdrungen. Kein Körperteil, der nicht befallen ist. In so einem Umfeld ist kein Wachstum mehr möglich, die Dinge stehen still, entwickeln sich zurück.

Pasquale ist ein begnadeter Schneider, der mit seinem Können vielleicht anderorts erfolgreicher Starmodeschöpfer hätte werden können. Doch in Neapel bleibt ihm nichts anderes übrig als für einen Hungerlohn Haute Couture für seinen ebenfalls von der Camorra abhängigen Chef zu fälschen. Als er die Möglichkeit nutzt nebenbei für die offensichtlich ebenfalls nicht legal arbeiteten Chinesen Schulungen zu geben wird der Konkurrenz stärkende Zusatzverdienst prompt mit einem Attentat der Camorra sanktioniert. Pasquale überlebt nur mit Glück. Die offene Gewalt findet in Gomorrha ausschließlich überfallartig statt, keine Chance ihr zu entkommen, keine Chance auf Gegenwehr. Entweder man macht mit, befolgt die Befehle oder man stirbt. Auf eigene Rechnung arbeitet niemand in Gomorrha und wer es versucht wird dafür bitter bezahlen. Das ist nichts neues im Mafiafilm, doch so unaufgeregt, kühl und auf verklärende Details verzichtend ist es bisher noch nie im Kino zu sehen gewesen. Garrone zeigt die Auswirkung des organisierten Verbrechens in Italien ohne dramatisch inszenierte Emotionen, ohne großartige Heldentaten, er zeigt den Alltag und so gleicht Gomorrha mehr einer Dokumentation als einem Spielfilm. Die unterschwellige Angst wird in der letzten halben Stunde zu einer einzigen Depression, kein Lichtblick am Horizont. Das was die Camorra Ehre und Respekt nennt ist in Wahrheit die Angst vor ihrer brutalen und menschenverachtenden Vorgehensweise. Wenn irgendwo zu lesen ist, daß die Bevölkerung aufgrund ihrer Armut die Mafia akzeptiert kann dies nur ein Mißverständnis des Autors sein. Es gibt nur Menschen die Angst vor der Mafia haben und Menschen die sich ihr trotz ihrer Angst entgegenstellen. Das ist die Botschaft, die Garrones Film vermittelt, der seine Suspense, seinen Horror aus seiner Nüchternheit bezieht. Wer eine durchgehende Handlung erwartet, alles ins kleinste Detail erklärt haben will sollte einen großen Bogen um dieses Meisterwerk machen.

10/10 Punkte