Die Coen Brüder haben in ihrer mittlerweile fast 25 jährigen Filmgeschichte gegenüber anderen Regisseuren eher wenig gefilmt. Doch seit ihrem großem Erfolg mit dem großem Lebowski scheinen sie die Schlagzahl in der Filme unter ihrer Regie die Leinwand erblicken progressiv anzuziehen. Die Hälfte ihrer Werke entstand in den letzten acht Jahren und für die nächsten zwei Jahre sind schon vier neue Filme angekündigt. Von den wenigen Ausnahmen abgesehen werfen sie in ihren Geschichten Laien- und Profikriminelle in die Arena, die oftmals an den Unwägbarkeiten des Zufalls scheitern, lassen unbescholtene Menschen unbewußt die Masterpläne der Bösen und Verzweifelten durchkreuzen. Das Chaos welches dadurch entsteht ist die eigentliche Komödie. Die Coens entlarven die Lächerlichkeit der Verbrechen der Kinogeschichte. Nicht zu verwechseln mit dem tatsächlichen Verbrechen. Das ist wichtig, denn nur aus diesem Grund können wir Lachen wenn Gear Grismund sich in Fargo seines Komplizen mittels Gartenschredders entledigt oder Donny Kerebatos in The Big Lebowski an einem Herzinfarkt stirbt. Spielten die Coen Filme auch nur ein Fitzelchen in der echten Welt, uns würde das Lachen im Halse stecken bleiben.
Texas, irgendwann in den achtzigern Jahren. Der arbeitslose Vietnamveteran Llewelyn Moss stößt auf der Jagd durch Zufall mitten in der Einöde des Grenzgebietes der USA und Mexico auf den Ort eines offensichtlich geplatzten Drogendeals. Zwischen den Leichen findet er die Drogen als auch das Geld und einen schwer verletzten Mexikaner, der als einziger das Massaker überlebt hat. Er schnappt sich das Geld und versteckt es unter seinem Wohnwagen in dem er mit seiner Frau Carla Jean lebt. Nachts sucht er ein zweites Mal die Fundstelle auf um sich auch noch die Drogen unter den Nagel zu reißen. Dabei wird er von den Besitzern der Drogen überrascht und kann nur knapp entfliehen. Seinen Pick Up muß er stehen lassen, wohlwissend, daß das Kennzeichen seine Identität verraten wird.
Über die Schönheit des Films wurde schon viel geschrieben, über die formale Perfektion. Es ist schwer das was die Coens mit No Country for Old Men abgeliefert haben in Frage zu stellen. Ihre ganzes filmisches Können scheint sich in ihrem mit vier Oscars prämierten Werk zu kumulieren. Ja, man könnte jedes einzelnes Bild für sich nehmen und damit die Geschichte des amerikanischen Genrekinos erzählen. Fantastisch, wie dieser Film die Leinwand mit dem Hauch des ganz Großen erfüllt, auch wenn er sicherlich eine ganz kleine Geschichte erzählt. Doch die Perfektion, der Professionalismus, mit dem Ethan und Joel Coen diese kleine Geschichte erzählen, erfüllt einen tieferen Sinn, ist selbst Teil des Plots. Es ist diese Professionalität an der die alten Männer in No Country for Old Men scheitern werden. Dargestellt in der Person des Anton Chigurh. Diesen unerbittlichen von seinen eigenen Fähigkeiten zutiefst überzeugten Profikiller, der auf der Suche nach Llewelyn Moss und dem Geld keinen eventuellen Zeugen überleben läßt. Eiskalt. Dem jegliche Menschlichkeit abhanden gekommen scheint. Diejenigen, die ihn als Psychokiller sehen haben schon verloren, denn während der Psychokiller aus einem inneren Zwang tötet, dies gleichzeitig seine größte Schwäche darstellt, die ihn früher oder später Fehler machen lassen wird, ist Chirgurh das komplette Gegenteil zu so einem pathologischen Kriminalfall. Sein Töten mit dem Schlachtschußapparat wirkt auf dem ersten Blick skurril, ist jedoch nur Ausdruck seiner Profession. Kein Geräusch, kein Projektil, daß sich zurückverfolgen ließe. Die Gasflasche wirkt auf seine Opfer höchstens verwirrend, wird jedoch nicht als Bedrohung aufgefasst, wie es bei einem gezückten Messer oder Revolver der Fall wäre. Selbst alte Hasen im gleichen Geschäft scheitern an der grausamen Zielgerichtetheit Chirgurhs.
Ihm gegenüber steht Ed Tom Bell. Der altersweise Sheriff, der bisher noch jedem Fall in seinem County Herr wurde ohne jemals Gebrauch von der Waffe machen zu müssen. Er ist jemand, der seine Ziele mittels seines investigativen Gespürs und vor allem mit der menschlichen Art, in der er seinen Gegenübern begegnet, erreicht. Darauf war er immer stolz, wie auch schon sein Vater. Doch diese neue Art des Verbrechens, das über sein bisher friedliches Land hereinbricht, damit kommt er nicht zurecht. Darauf ist er nicht vorbereitet, da er es nicht versteht. Konnte er sich auf seine Methoden in der Vergangenheit immer wieder verlassen, stößt er nun an die Grenzen, da das Verbrechen jegliche Skrupel verloren zu haben scheint. Ein Menschenleben keinen Pfifferling mehr wert zu sein scheint. Dem kann er letztendlich nur noch mit Zynismus begegnen. Er kann erklären was passiert ist, aber nicht mehr warum. Warum werden die Opfer von Verbrechen noch gefoltert obwohl sie ihren Zweck schon erfüllt haben? Wahrscheinlich kam nichts im Fernsehen. Ed Tom Bell wird in Pension gehen, er fühlt, daß seine Art zu arbeiten zukünftig keinen Erfolg mehr haben wird. Er müßte sich schon anpassen, doch das will er nicht, das ist nicht mehr sein Land. Auch wenn der Film Llewelyn Moss sehr viel Zeit widmet ist seine Geschichte lediglich der Part, der die Figuren Chirgurh und Bell zusammenbringt. Das mag vielleicht suspekt klingen, da Chirgurh und Bell sich nicht einmal im Film begegnen, doch Bell stößt auf Chirgurhs Spuren, die ihm klar machen, daß er scheitern wird. Sie nehmen ihm jegliche Illusionen noch etwas ausrichten zu können, in diesem Fall und in seinen zukünftigen.
No Country for Old Men ist ein äußerst pessimistischer Film, nicht ein Fünckchen Hoffnung lassen die Coen Brüder aufkeimen. Das verleiht ihm einen realistischen Grundton, der jedoch durchgehend durch die klischeehaften Figuren und Handlungen gebrochen wird. Das macht ihn als unterhaltsamen Genrefilm ebenso wie als Zustandsbeschreibung der amerikanischen Wirklichkeit fast ungenießbar. Er ist ein Kunstobjekt, welches den Zuschauer ständig auf die falschen Fährten lockt, ihm nicht das gibt was er vielleicht erwartet. In seinen einzelnen Szenen die Grenzen der cineastischen Genialität auslotet, in seiner Gesamtheit jedoch ein ziemlicher Kotzbrocken von einem Film ist. Auch wenn es vielleicht die Absicht der Coens war das Kino vorzuführen, beleidigt No Country for Old Men letzten Endes nur den Intellekt des Zuschauers. Was soll er mit so einem Film anfangen, dem ein so wichtiges und selten vorgetragenes Thema wie das Scheitern an der Veränderung innewohnt, der sich jedoch lediglich in seinem eitlen Bruch mit den filmischen und dramaturgischen Konventionen suhlt, dem Publikum eine inhaltliche Tiefe vortäuscht, die er jedoch zu keiner Zeit einzulösen vermag. Es entsteht der Eindruck er mache sich über die Erwartungshaltung seines Publikums lustig. Er gönnt dem Zuschauer auf dem Heimweg nach dem Kinobesuch lediglich die Erkenntnis einen handwerklich perfekten Film gesehen zu haben, dessen nahezu an Arroganz grenzende Selbstverliebtheit ihm jedoch ein emotionales Ereignis verwehrt und allein aufgrund dessen in der großen Langeweile endet.
6/10 Punkte
17 Kommentare:
Text grad nicht gelesen, aber was geht hier ab? Bei mir hast noch mit 8/10 um dich geschmissen...
seit ihrem großem Erfolg mit dem großem Lebowski
Wo haste das denn her? Der ist zwar Kult, war aber an den Kinokassen nicht unbedingt ein Renner. Ansonsten sind 6/10 mindestens eineinhalb Punkte zu wenig für diese staubtrockene Dokumentation handwerklichen Könnens.
Hm, also ich möchte der letzte sein, der diesen Film verteidigt, aber als Intellektbeleidigung habe ich diesen "Kotzbrocken" dann doch nicht wahrgenommen. Ich meine: Der ist schon wirklich genial inszeniert.
Da möchte ich MVV ausdrücklich zustimmen. Mit der 6-Punkte Wertung kann ich ja leben, auch wenn ich sie nicht teile. Außerdem sind Punkte eh Schall und Rauch, wie einer unserer Blogger-Kollegen immer so schön sagt. Aber den Film "als Beleidigung für den Intellekt des Zuschauers" zu bezeichnen, halte ich ebenfalls nicht für Angebracht.
Was so eine Zweitsichtung so alles verändern kann.
@therudi
lesen mußt Du schon alleine;)
@probek
staubtrockene Dokumentation handwerklichen Könnens, hätte ich gerne in meinen Text übernommen. Denn es trifft die Dinge ganz gut. Erfolg ist nicht immer in monetären Größen zu messen.;)
@all
Natürlich ist meine Aussage provokant. Das soll sie auch ganz bewußt sein. Aber nicht in dem Sinne, daß ich den Kritikern, die den Film über den Klee loben vor den Kopf stoßen möchte, sondern dahingehend, daß einmal die Wertigkeit des Gesehenen hinterfragt wird. Was bietet der Film außer handwerklichem Können? Inwieweit gibt er dem Zuschauer, nicht dem Kritiker, etwas zurück? Was kann er aus der Kinovorführung mitnehmen? Ist es der Anspruch des Filmes nur für das kleine Publikum der Kritiker geschaffen zu sein, das sich an der handwerklichen Vollkommenheit ergötzen kann? Wenn ja, läßt er dann nicht das Publikum, das in erster Linie Unterhaltung und diese aufgrund der durchgehend überschwenglichen Kritiken und der durchaus spannenden ersten Stunde im Regen stehen? Macht er sich nicht über sein Publikum letzten Endes lustig, wenn er so gar keine Erwartung erfüllen möchte? Ich habe ausdrücklich geschrieben, daß dies nicht die Intention der Macher ist. Die ist deutlich zu erkennen, für den Kritiker, den Geek, der Filme bewußt schaut und sich im Genre auskennt. Aber was ist mit großem Rest? Muß der sich nicht einfach doof vorkommen wenn er am Ende mit leeren Händen da steht?
Wenn ja, läßt er dann nicht das Publikum, das in erster Linie Unterhaltung und diese aufgrund der durchgehend überschwenglichen Kritiken und der durchaus spannenden ersten Stunde erwartet und dies auch darf im Regen stehen?
Okay, gelesen. Verstehe aber dennoch nicht, wieso jetzt die Erkenntnis kommt, dass der Intellekt beleidigt wird, dies aber nach dem Kinobesucht nicht der Fall war (O-Ton Du: Der Film ist technisch hervorragend, man kann sich gar nicht satt sehen an den perfekten Bildern. Dem perfekten Ton, den nahezu perfekten Darstellern. Wirklich, der Film scheint nahezu perfekt.)
Zustimmung aber zur Langweiligkeit des Filmes und: Die Hälfte ihrer Werke entstand in den letzten acht Jahren - ist ganz klar die schwächere Hälfte. Arme Coens, mit denen geht es echt seit LEBOWSKI den Bach runter. Aber mit Schmackes.
Verstehe aber dennoch nicht, wieso jetzt die Erkenntnis kommt, dass der Intellekt beleidigt wird, dies aber nach dem Kinobesucht nicht der Fall war
Ja, sicherlich. Der damalige Kommentar entstand eben unter dem Eindruck der formalen Perfektion des Filmes. Dazu stehe ich auch heute noch. Warum ich den Film im Ganzen jedoch nach seiner zweiten Sichtung anders bewerte? Das habe ich gerade versucht in meinem Kommentar darzulegen und im Review meines Erachtens deutlich ausgedrückt. Ich habe versucht ihn ganz einfach aus einer veränderten Perspektive zu betrachten. Meinungen dürfen geändert werden, dazu hast Du Dich auch schon bewegen lassen (Indy).
Ich habe versucht ihn ganz einfach aus einer veränderten Perspektive zu betrachten. Und zwar eben nicht aus der des Filmenthusiasten, des Kritikers, sondern aus der des normalen Kinozuschauers.
Heute hab ich es aber echt drauf...
[i]Und zwar eben nicht aus der des Filmenthusiasten, des Kritikers, sondern aus der des normalen Kinozuschauers.[/i]
das eine muss das andere ja nicht auschliessen. Ansonsten kann ich dem weitestgehend zustimmen. Er leidet wie fast alle Filme der Coens in letzter Zeit an Beliebigkeit. Sprich: 20 Minuten nach Verlassen des Kinos hat man den auch schon wieder vergessen. So interessant bis schrullig die Figuren in den ersten Filmen waren, so eindimensional sind sie in den neueren Werken. Um es mal mitternächltich zu sagen: da fehlt mir die emotionale Bindung.
diese ver*#?ßten Tags...ich lern das nie
das eine muss das andere ja nicht auschliessen.
Natürlich nicht, und nur wenn beides funktioniert möchte ich von einem gelungenem Film sprechen.
Übrigens;)
@all
Ich habe den letzten Absatz noch einmal unwesentlich abgeändert. Vielleicht wird meine Sichtweise dadurch ein wenig verständlicher.
Viele ältere Filme der Coens fand ich auch besser, dennoch ist für mich "No Country …" ein kleiner, perfekter Film. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Aber eine zweite Filmsichtung zu brauchen, um dabei einen "normalen" Kinozuschauer (wer oder was auch immer das sein mag, mag's mir eigentlich gar nicht vorstellen) zu channeln und dann in dessen Namen zu urteilen, dass es für den doofen Normalo doch höchstens zwei unterhaltsame Stunden ohne Tiefgang und Antworten auf große Fragen sind, lässt mir an elitäre Zuschauerbeschimpfung denken und dir den Satz zurufen:
wärste doch beim einen Mal geblieben.
PS: das mit der "Dokumentation handwerklichen Könnens" meinte ich sowohl als auch.
dass es für den doofen Normalo doch höchstens zwei unterhaltsame Stunden ohne Tiefgang und Antworten auf große Fragen sind, lässt mir an elitäre Zuschauerbeschimpfung denken
Nee, Probek. Umgekehrt wird eher ein Schuh draus. Ich habe lediglich die Technik außer acht gelassen und da bleibt halt ein großes Nichts übrig. Das hat nichts mit elitärem Denken zu tun.;)
Denke ich an mir in der Nacht, werde ich um den Kasus gebracht. Davon ab:
Nicht, dass es der Film wirklich nötig hätte, verteidigt zu werden, aber grundsätzlich finde ich es bei Kritiken sinnvoller, darüber nachzudenken, was man selbst empfindet und das zu beschreiben und nicht das, was andere dabei empfinden könnten. Das geht einfach nicht gut.
Und ein Film ist nun mal ein Gesamtkunstwerk, bei dem zwar einzelne Aspekte getrennt bewertet werden können — letztlich aber untrennbar verbunden sind. Und allein für seine stilistische Brillanz ist der Film positiv zu bewerten, egal, ob er einen dann zusätzlich noch Wochen über Menschheitsfragen nachdenken lässt oder nicht. Die von dir empfundene Leere wäre ggf. einen Vorwurf Richtung Cormac McCarthy wert, trübt aber zumindest für mich kaum den Gesamteindruck.
Nicht, dass es der Film wirklich nötig hätte, verteidigt zu werden, aber grundsätzlich finde ich es bei Kritiken sinnvoller, darüber nachzudenken, was man selbst empfindet und das zu beschreiben und nicht das, was andere dabei empfinden könnten.
Und Du glaubst jetzt wirklich, ich setze mich hier hin und denke mir aus was ein anderer denken könnte?
Sorry, das ist genauso eindimensional, wie die Figuren in No Country for Old Men. Auch wenn ich die Perspektive wechsel, sind es immer noch meine Augen, die die Dinge sehen.
Immerhin hat Kelly Macdonald mitgespielt *lechz*
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