Texas, das ist kein Bundesstaat der USA -, nein, das ist eine Kleinstadt irgendwo in einem Naturschutzgebiet Nordrhein Westfalens. Deutlich zu erkennen wenn Doc Snyder vor dem entsprechenden Schild steht und Grimassen zieht. Da kann er sich noch so verrenken, man sieht es, man soll es sehen. Und Texas ist noch nicht einmal eine Stadt, sondern lediglich die Kulisse der Freilichtbühne der Karl-May Spiele in Elspe, Sauerland. Auch damit hält Helge Schneiders erster Film nicht hinter der Hand. „Hier kann man doch kein Kuchen essen.“ entgegnet Kommissar 00Schneider Lt. Körschgen, nachdem er ihn in sein Haus zum Kaffee und Kuchen gebeten hat und er sich tatsächlich der Rückseite einer Kulisse ausgesetzt sieht. Die Antwort Lt. Körschgens könnte einfacher und einleuchtender nicht sein. „In der Fantasie geht alles.“
Helge Schneider ist ein Phänomen in Deutschlands Künstlerportfolio. Schulabrecher, multiinstrumentaler Jazzer, Anti-Komiker, Bühnenanarcho, Improvisationist. Bevor er seinen ersten eigenen Kinofilm drehte, sammelte Schneider Erfahrung in über 15 Jahren Bühnenpräsenz, als Schauspieler unter Christoph Schlingensief und Werner Nekes, als Co Moderator neben Reinhold Beckmann in einer Musiksendung im WDR, spielte Sketche mit Hans-Werner Olm im Hessischen Rundfunk und nahm drei Studioalben auf. Dennoch kannte ihn keine Sau, wie er es wohl selbst ausdrücken würde. Das änderte sich schlagartig mit seinem vierten Album „Guten Tach“ und einem Auftritt bei „Wetten, dass?“. Plötzlich war er bekannt wie ein bunter Hund, ganz Deutschland (nicht mit Ganz Deutschland im Sinne der Bildredaktion zu verwechseln) lachte über die singende Herrentorte (Selbstbezeichnung) aus Mühlheim. Mit seinen improvisierten, nicht zu Ende erzählten Witzen, Geschichten, Klamauk und Albernheiten stellte er eine Art Gegenthese zu den bis dahin etablierten Komikern wie Karl Dall, Dieter Krebs und Kabarettisten (Comedians gab es noch nicht wirklich) wie Harald Schmidt oder Jochen Busse dar. Keine Kneipe, keine Busfahrt, kein Büro, kein Klassenzimmer, keine Party auf der sich nicht jemand fand, der versuchte Helge Schneider zu imitieren. Die Rose ist eine Rose... Wie es nun einmal nicht nur in Deutschland, jedoch gefühlt nur in Deutschland, ungeschriebenes Gesetz der Unterhaltungsindustrie ist, mußte ein Kinofilm mit Schneider her (→ Hallervorden, Dall, Herbig, Gerhardt, demnächst auch die vier Pfälzer vom Schrottplatz). Egal ob sein Humor nun massen- oder filmtauglich war oder ist.
Doc Snyders Wäsche ist schmutzig und so macht er sich nach dreißig Jahren auf den Weg nach Hause zu seiner Mutter. Unterwegs überfällt er aber noch eine Postkutsche, demütigt den Nasenmann und verliert dabei seinen Wäschesack. Zuhause angekommen erfährt er, daß sein Bruder Hank im Gefängnis sitzt und am Galgen enden soll. Zudem sinnt der Nasenmann auf Rache. Ein Duell ist unausweichlich... Mehr Handlung hat der Film nicht zu bieten. Nach einem erfolglosem Testscreening und vor allem aufgrund Schneiders eigener Unzufriedenheit über das Ergebnis der ersten Filmversion, schmiß Schneider mehr als die Hälfte des ursprünglichen Materials, das unter Aufsicht eines Co-Regisseurs der Produktionsgesellschaft entstand (→ dem Braten nicht trauen) raus und begab sich noch einmal mit seinem Freund Christoph Schlingensief ins Sauerland nach Elspe, um eine Menge Nachdrehs zu erstellen, die dann später auch dem Film retten sollen. Denn in ihnen besinnt sich Schneider auf seine wahre Profession, der Improvisation. Da liegt er in einer Hängemätte am Lagerfeuer über dem ein Gummihuhn brutzelt und legt, nachdem ihm eine E-Gitarre von einem Unbekannten gereicht wird, spontan ein schräges Solo hin. Oder er verläßt das Haus seiner Mutter bei Tageslicht und kichert über den Anschlußfehler, denn die vorherige Szene findet im Dunkeln statt. Läßt Figuren aus der Gegenwart durchs Set schreiten, erfindet die Figur des Kommissar 00Schneider, der mit dem Auto durch die Westernkulisse fährt. Das sieht mehr nach alberner Hobbyfilmerei als nach erfolgreichstem deutschem Kinofilm 1993 aus. Anarchie pur. Er begegnet Gott und darf ein tricktechnisch sehr bedauerliches Erdbeben auslösen. Die Kamera schwenkt des öfteren peinlich berührt zur Seite, Schneider natürlich mit einem Grinsen im Gesicht hinterher um im Bild zu bleiben. Aufgenommen in fettem Cinemascope und alles dafür getan es nicht danach aussehen zu lassen. Der klerikale dt. Filmdienst hat gar nicht mal so unrecht, wenn er behauptet Texas wäre eine Verweigerung von einem Film. Genau dies macht jedoch den Reiz des Werkes aus, das seinen Charme aus der Improvisation und den Darstellern, die sich vornehmlich aus Schneiders Bekanntenkreis und Laiendarstellern rekrutieren, schöpft. Ludwig Haas, Dr. Drexler in der Lindenstraße, als einzig echt prominente Besetzung stirbt dann auch ziemlich schnell am Galgenhumor der Chose. Man muß einfach lachen, wenn Andreas Kunze, nach Johnny Flash in einer weiteren köstlichen Frauenrolle, die Ruhrgebietsklamotten–Mama gibt und dabei Tana Schanzaras Typecasting um ein vielfaches toppt. Man wünscht sich mehr Szenen mit Mama Snyder, ja einen ganzen Film, eine Fernsehserie wenn es möglich ist. Helmut Körschgen in der Rolle des Assistenten des Kommissars muß dann auch gar nicht mehr spielen. Er muß einfach nur dastehen, in seinem braunem Trainingsanzug. Der damals hauptberuflich als Parkplatzwart der Karl May Spiele Tätige wurde spontan von Schneider gecastet und sorgt für die genialsten Momente des Filmes (→ Einleitung dieses Reviews). Heimlicher Star des Filmes ist jedoch ganz bestimmt Peter Thoms, der Schlagzeuger, der schon als Mitglied Schneiders kleinen Band „Hardcore“ Erfolge als Publikumsliebling feiern durfte. Wenn er im Kostüm des Klaus Kinski in Corbuccis „Leichen pflastern seinen Weg“ im Saloon der kleinen Stadt Texas ein Viertel Frascati und Fetuccini Alla Panna bestellt, ist das wohl eine der komischsten Szenen in einer deutsche Komödie überhaupt. In diesen Momenten kann man gar nicht anders, als diesen Film einfach lieb zu haben. Nein, Texas – Doc Snyder hält die Welt im Atem ist gar keine Komödie, kein Western, keine Parodie. Was ist das eigentlich? Völlig egal, denn der Film bringt die Menschen zum lachen. Nicht jeden, das ist sonnenklar. Da braucht es schon einen speziellen Humor beim Rezipienten, er muß über Skurriles lachen können, all die konventionellen Vorstellungen von Humor oder Komödie über Bord werfen, ja er muß Helge Schneider an sich gut finden. Sonst wird das nichts - mit ihm und dem Doc. Ohne Helge Schneiders Lebenswerk zu kennen, wird man diesen Film nicht einordnen können. Er hat ihn für sein Publikum gedreht, das seinen Humor liebt, ihn aus seinen Bühnenprogramm kennt, die Platten von ihm zu Hause stehen hat. Nicht für die größtmögliche Schnittmenge an der Kinokasse. Das ist eben Helge Schneider und daraus erschließt sich der Wert seines Filmes. Über die Wertigkeit läßt sich streiten, die muß jeder Zuschauer für sich selbst ausmachen. Von daher...
1 oder 10/10 Punkte
8 Kommentare:
Pff, Tumulder, 1-10, sei mal nicht so schnörkellos, der Film ist sehr sehr weit von einer 1er Bewertung entfernt. Allein die Tagline "Für eine Handvoll Scheiße" verdient eigentlich einen Bambi!
Hast recht, dazwischen gibt es nichts. Wirklich nicht. Und der Bambi ist ja eigentlich eine Beleidigung.;)
Ach, den würd ich ihm nur verleihen, um Helges "Dankes"rede zu hören. ;)
Und dann gibt's Reis, Baby!:D
Ohuuuu, Texas... ouhhhuuuu, böse Erinnerungen kommen hoch... wir haben uns letzten noch "00 Schneider" reingezogen. Der ist noch schlimmbessersinnloser! Komischerweise vergingen die Minuten aber wie im Fluge!
Nettes Review zu einem klasse Film!
Bei so einem Film muss man auch jede Art von Objektivitaet abschalten koennen und halt das Schneider Universum kennen.
Wie Recht du auch hast bzgl. Peter Thoms - Im Audiokommentar sagt Helge selber, dass er absolute klasse sei und warum man sich nicht um ihn reißt :D
Die Tagline ist uebrigens wirklich genial. Noch peinlicher, dass ich sie erst hier las :<
Habe aber sehr gelacht :)
Helge Schneider ist fuer mich einer der sehr, sehr wenigen Menschen unseres Landes die noch außerordentlich gut unterhalten koennen.
Nun flame ich hier schon den Kommentarbereich so zu.. :/
Zu schade, dass in Texas Köschgen ein wenig zu kurz kommt und in 00Schneider Peter Thoms sozusagen nur einen Gastauftritt hat :/
Zwar die unterschiedlichsten Typen überhaupt, die mich aber trotzdem beide mit ihren Künsten zum Lachen bringen können.
Zum Thema Improvisation: Man sollte noch dazu erwähnen, dass Texas ein Helge Schneider Film mit - im Vergleich - geringer Improvisation ist. Wenn man sich daneben einmal 00Schneider zur Gemüte führt, könnte man meinen es gäbe nicht wirklich etwas nicht improvisiertes. Zitat von Helge Schneider im Audiokommentar bei 00Schneider: "Das Drehbuch hätte auch locker auf einen Bierdeckel gepasst!" Oder so in der Art :P
Improvisiert definitiv nur die nachgedrehten Szenen, meines Wissens nach. Und klar, 00Schneider ist komplett improvisiert. Praxis Dr., genauso.
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