Ein ordentlicher Bollywood Streifen soll alle neun Rasas der traditionellen indischen Kunst aufnehmen. Ekel, Wut, Liebe, Pathos, Schrecken, Frieden, Komik, Wunder und natürlich das Heldentum. Danny Boyles oscarprämierter Ausflug nach Mumbai enthält sie alle, und ja, er ist nicht nur eine Hommage an das indische Kino, das in den letzten Jahren auch einige Erfolge in der westlichen Hemisphäre feiern durfte, er ist tatsächlich selbst ein Stück dieser filmischen Welt, für die die meisten Zuschauer in amerikanischen oder europäischen Kinosälen höchstens ein eher belustigtes Lächeln übrig haben dürften. Ein wenig angepaßter an den hiesigen Geschmack, natürlich, aber ansonsten geht das insgesamt schon in Ordnung mit dieser breit angelegten Liebesgeschichte um die beiden Brüder Jamal und Salim, die beide das gleiche Mädchen lieben. Erzählt wird ihre Geschichte in Rückblicken während eines Polizeiverhörs. Jamal hat es bis zur letzten Frage im global versendeten TV Quiz Wer wird Millionär geschafft, und nun steht er unter Betrugsverdacht. Jamal und Simal stammen aus den Elendsvierteln der indischen Metropole, keine Schulbildung, ein Leben von der Hand in den Mund, das sie mal hier, mal dort hinpült. Fast eine ganze Stunde widmet Boyle der Kindheit der Beiden, erzählt in wirklich wunderbar farberfüllten Bildern vom Verlust ihrer Mutter, von ihrer Flucht vor dem Kinderbettler Syndikat, das die Waisen skrupellos verstümmelt und ihrem Erfolg als Touristenführer im Taj Mahal. Flott inszeniert mit einer gehörigen Priese postmoderner Schnitttechnik im Gepäck. Da wähnt man sich schnell in einer genialen Mixtur aus Charles Dickens, altem Technicolor und cleanem Trainspotting 2009. Nein, das ist kein Elendstourismus, was Boyle da in der ersten Stunde seiner Geschichte auftischt, das ist einfach bonbonfarbenes Kinomärchen ohne Anspruch auf Realitäten. Dafür darf man Boyle schon dankbar sein in Zeiten des so modernen farbreduzierten und nach Authentizität hechelnden digitalen Cinemas. Der für Boyle so typische Bruch mit dem zuvor Erzähltem vollzieht sich diesmal jedoch nur innerhalb des Genres mit dem er seine Geschichte weiter führt. Das Märchen wird zur vorhersehbaren Lovestory im postmodernen Gangsterfilmgewand. Hat es Boyle bisher immer wieder geschafft innerhalb seiner Filme gleichzeitig auch eine Reflektion ihres eigenen Themas und dessen Träume unterzubringen, – in Shallow Grave zerstören Mißtrauen und Neid das Glück, in The Beach wird der Traum vom Paradies vom Real Live eingeholt und in Sunshine läßt er den naiven Glauben an eine nur von der Logik geleiteten Gesellschaft auf die Unwägbarkeiten der Spiritualität treffen – gelingt ihm dies mit Slumdog Millionaire nur rudimentär zwischen den Zeilen. Doch die Linie des wundersam trivialen Märchenfilms verläßt er zu keiner Zeit. Das führt dazu, daß sein Film in der zweiten Hälfte abseits der formalen Qualitäten mit einer inhaltlichen Beliebigkeit zu kämpfen hat, deren teilweise erschreckend schlechten Dialoge als geringstes Problem erscheinen. Sicherlich - Mumbai, Bollywood, wir sind hier in der Traumfabrik Asiens mit ihren so vorgegebenen Rollen, Handlungsmustern und nach westlichen Maßstäben ausgestelltem Kitsch. Doch darf man Boyle schon nach seiner Motivation jenseits der inszenatorischen Herausforderung fragen. Slumdog Millionaire ist nichts anderes als Bollywood im westlichen Gewand und Danny Boyle führt zufällig Regie, was das Ganze ein wenig erträglicher macht. Inhaltlich kann kein Mehrwert ausgemacht werden. Für zwei Stunden exotisch anzusehende Unterhaltung reicht das vielleicht, ich kann auch Boyles Wunsch nachvollziehen endlich mal wieder einen sehr erfolgreichen Film zu machen. Man darf sich aber schon ein wenig darüber wundern, daß Boyle gerade für diese leere Verpackung soviel Applaus bekommt. Nicht daß ich ihm diesen nicht wünschen würde. Ich wollte gerne mehr schreiben, aber mehr fällt mir zu diesem mit dem ökonomisch wichtigsten Filmpreis gekrönten Werk einfach nicht ein.
7/10 Punkte
10 Kommentare:
Mit 7/10 ist er ja nach deinen Äußerungen anderswo noch glimpflich davon gekommen. Kann deinem Gesamturteil aber dennoch nicht zustimmen.
Das Märchen wird zur vorhersehbaren Lovestory
Beherben nicht zahlreiche Märchen vorhersehbare (Love-)Storys?
Na toll, hab eh schon kaum Lust auf den Film. Und deine Rezension erhöht meine Motivation nicht wirklich. Bezüglich des Erfolgs beim Publikum und den 8 Oscars: Ich glaube einfach das der Film einen zeitlichen Nerv getroffen hat. Naja, was solls...
Beherben nicht zahlreiche Märchen vorhersehbare (Love-)Storys?
Meine Kritik bezieht sich auf die fehlende Reflektion des Geschehens, Boyle hat mehr auf der Pfanne. Mich hat der Film in der zweiten Hälfte inhaltlich einfach gelangweilt.
Na toll, hab eh schon kaum Lust auf den Film.
Er wird Dir gefallen.;)
Mit 7/10 ist er ja nach deinen Äußerungen anderswo noch glimpflich davon gekommen.
Für Boyle ist das desaströses Urteil.;)
Für Boyle ist das desaströses Urteil.
Wieso, was kriegen denn seine ganzen anderen Filme von dir?
Bis auf seinen Film mit Cameron Diaz, den ich einfach nicht zu Ende schauen wollte (aber sicherlich hätte können), alle ab 7,5 Punkte.
Dann stufst du BEACH ja sehr viel besser als, als der Durchschnitt. Und ALLO ist jetzt auch nicht so schlecht. Ich halte 7 von 10 Punkten nicht für desaströs, auch nicht für Boyle. Jeder seiner Filme krankt ja an dem einen oder anderen Punkt. Vielleicht kannst du ja auch einfach nicht so viel mit kitschigen Liebesgeschichten anfangen (s. SLUMDOG, ALLO, BUTTON).
Jeder seiner Filme krankt ja an dem einen oder anderen Punkt.
Durchaus, aber Boyle konnte sie bisher immer wieder ausbügeln, da er ihnen inhaltlich etwas entgegen stellte. The Beach ist abseits von den Änderungen zur Vorlage und jedwedem Di Caprio Bashings, nicht nur ein Abgesang auf den Aussteiger Mythos, sondern auch eine schöne Parabel über die Unmöglichkeit sich der realen Welt zu entziehen. ALLO fand ich inszenatorisch zu gewollt und außerdem nervt die Diaz grundsätzlich.;) Ob ich mit kitschigen Liebesgeschichten nix anzufangen weiß, weiß ich nicht. Jedenfalls nicht, wenn da nichts hintersteckt.
und außerdem nervt die Diaz grundsätzlich.
Find ich jetzt ja nicht, ihre Rollen sind ja oftmals auch sehr unterschiedlich. Ihr da "grundsätzliches Nerven" zu unterstellen halte ich für ziemlich perfide.
Reine Geschmacksache.
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