Das Kabinett des Dr. Parnassus

Imagination. Vorstellungskraft. An der hat es Terry Gilliam und seinen Filmen nie gefehlt. Egal ob nun Brazil oder Fear and Loathing in Las Vegas, Time Bandits oder Tideland. Gilliams Figuren haben ihre Kämpfe in einer surrealistischen Fantasie auszutragen. Das ist oftmals chaotisch, wirkt manchmal überambitioniert, ist aber immer ein schräger Gegensatz zum Mainstreamkino mit seinen vorgegebenen Rahmenbedingungen. Jeder Gilliam Film spaltete bisher die Filmgemeinde, man muss Gilliams Art Filme zu drehen einfach mögen, um überhaupt einen Zugang zu ihnen zu finden. Vor allem wenn das Drehbuch aus seiner eigenen Feder stammt. Eine Schwäche Gilliams, so sehr man auch seine Filme für den anderen Blickwinkel, den sie immer wieder einnehmen, lieben darf.

London. Geschichten erzählen, dass ist Dr. Parnassus einzige Bestimmung, seit tausend Jahren. So zieht er mit seinem Kabinett der Imagination durch die Gegend. Tritt der Interessierte durch den Spiegel auf der Bühne des kleinen Wandertheaters, landet er mit Hilfe der Fantasie des Doktors in der eigenen Gedankenwelt. Die kann düster und gefährlich oder bunt und befreiend sein. Je nach Gemütszustand des Reisenden. Die Geschäfte laufen jedoch für die Schaustellertruppe nicht gut, obwohl sich Tochter Valentina, Anton und der Rest der Darsteller mächtig für die Show ins Zeug legen. Mehr als ein paar Penny und Ärger mit der Polizei kommen kaum dabei herum. Eines Abends, nach einem erneuten Abbruch ihrer Show durch die Polizei, entdeckt Valentina einen an einer Brücke am Strang baumelnden Mann. Kurzerhand rettet man nicht nur sein Leben, sondern nimmt ihn auch in der Truppe auf. Der sich schnell in Valentina verliebende Tony dankt es mit einer ordentlichen Neuausrichtung der Show, zu der nicht nur modernere Kostüme und Bühnenbilder, sondern auch ein Umzug aus den Armenvierteln in die Konsumtempel der Stadt gehört. Irgendetwas stimmt jedoch nicht mit diesem Tony, auch wenn er der Show einen Erfolg beschert, den sich Parnassus und Valentina nicht in ihren kühnsten Träumen vorstellen hätten können. Erfolg ist bitter nötig, nicht nur um zu überleben, sondern auch, weil Parnassus mal wieder mit Mr. Nick gewettet hat. Gelingt es ihm innerhalb eines Tages 5 Seelen an Mr. Nick abzutreten, darf Parnassus Tochter Valentina behalten, ansonsten gehört ihre Seele dem Teufel.

Ohne Frage hat Gilliam mit Das Kabinett des Dr. Parnassus wieder einmal eine wundervolle Welt erschaffen. Die Imaginationen hinter Parnassus Spiegel, herrlich bunte Attraktionen, sein London der Realität, irgendwo zwischen viktorianischem Zeitalter und Moderne. Vollgestopft mit Andeutungen, ausgelassenen Albernheiten und einer wunderbaren Nostalgie. Doch da ist auch wieder der Gilliam, der über das fantastische seiner Erzählung, der Bilderflut und all den witzigen bis anrührenden Ideen und Szenen, die allesamt für sich genommen einfach nur als bezaubernd zu bezeichnen sind, die Konzentration auf die eigentliche Geschichte vergisst. Worum geht es eigentlich in seiner Geschichte? Um die Liebe zum Falschen, um das faustsche Thema, oder um Gilliams Konsum- und Gesellschaftskritik, die seinen Film stellenweise wie ein Werk aus längst vergangen Tagen wirken lässt. Gilliam überfordert mit seinen ständigen Wechseln zwischen den Handlungssträngen, die für sich genommen noch nicht einmal kompliziert erscheinen, nicht nur den Erzählrhythmus des Films, sondern auch gerne mal die Nerven des Zuschauers. Das kennt man schon von seinen früheren Werken wie Brazil, und das war sicherlich auch das ins Auge stechende Problem seiner letzten größeren Produktion Brothers Grimm. Die einzelnen Gedanken wollen sich nicht zu einer homogenen Geschichte zusammenfassen lassen. Immer wieder ertappt man sich bei den Gedanken, Gilliam hätte an dieser Stelle doch noch bitte ein wenig weiter erzählen sollen, bevor er ohne Not zur nächsten Szene weiterspringt.

Dieses Manko können die guten Darsteller nur teilweise wieder wett machen, leiden ihre Rollen doch geradezu unter Gilliams Sprunghaftikgeit und seiner, salopp gesagt, chaotischen Inszenierung. Das gilt für den verstorbenen Heath Ledger genau so, wie für Christopher Plummer als Dr. Parnassus und erst recht für Tom Waits als Teufel Mr. Nick. Ledgers kurze Screentime ist natürlich seinem unerwarteten Tod geschuldet, dem Gilliam, Mensch wie er ist, in einer offensichtlich nachträglich geschriebenen und absolut liebenswerten Szene gedenkt. Doch auch Ledgers Charisma kann mehr schlecht als recht gegen Gilliams Inszenierungswut ankämpfen. Spätestens in den Szenen, in denen Ledger von seinen Freunden Depp, Farell und Law vertreten wird fällt dies auf. Erst auf dem zweiten Blick bemerkt man, dass hier gar nicht mehr Ledger auf der Leinwand zu sehen ist, sondern eben seine nicht minder talentierten Kollegen. Das muß man auch erstmal fertig bringen. Ledger, Depp, Farrell und Law in einem Film, und kaum einer bekommt es mit. Unterhalten kann Das Kabinett des Dr. Parnassus erstaunlicher Weise dennoch. Vielleicht allein aus dem Grunde, da es sich um einen wieder einmal schrägen, einzig der Fantasie verpflichteten Film handelt, der soviel Charakter mit sich bringt, dass er unweigerlich aus der großen Masse des an der Rendite verpflichteten Baukastenkinos der letzten Jahre heraussticht. Für eine Liebesbeziehung reicht das jedoch nicht aus, so sehr man es sich und Gilliam auch gewünscht hätte.

6,5/10 Punkte

12 Kommentare:

Candide hat gesagt…

Endlich das erste Review das ich dazu lese. Hierzulande dauert es leider noch ein bisschen bis er im Kino anläuft, verpassen (so wie die italienische Version) werde ich ihn diesmal aber nicht.
Bin schon gespannt, deine Rezension lässt Gutes ahnen auch wenn deine Bewertung recht niedrig ausfällt.

tumulder hat gesagt…

Ja, ich hatte da schon bei der letztendlichen Bewertung einige Probleme. Ich hätte ihm so gerne mehr Punkte gegeben, aber Gilliam gelingt es einfach nicht seine Geschichte so stringent vorzutragen, dass ich den Film guten Gewissens ein absolutes Okay geben kann. Aber er ist schon deutlich besser als seine beiden letzten Filme.;)

Kaiser_Soze hat gesagt…

Hab den Beitrag nicht gelesen. Will mich net spoilern.

Würdest du sagen, dass man dem Film anmerkt, dass das Drehbuch wegen Ledgers Tod umgeschrieben wurde?

tumulder hat gesagt…

Nein, aber Gilliam baut eine Szene diesbezüglich ein. Sogar sehr gelungen.

C.H. hat gesagt…

Hm, erster Eindruck der Besprechung: Klingt - rein intuitiv - irgendwie fair. Bin gespannt!

Filmhass hat gesagt…

Die Bewertung von Parnassus ist wirklich nicht einfach. 6,5 Punkte sind objektiv betrachtet absolut angemessen, wenn man die konfuse und durchaus holprige Art der Erzählung berücksichtigt. Meine eigene Bewertung (werde heute oder morgen selbst 'ne kleine Kritik verfassen) wird aber vermutlich trotzdem um die 8 Punkte herum liegen...Parnassus regt zum Nachdenken an, das rechne ich Gilliam hoch an.

tumulder hat gesagt…

@filmhass
Ja, die 8 Punkte können einzelne Fragmente des Films durchaus gerecht werden.

Frau Flinkwert hat gesagt…

Hm, ich hab ihn schon besser bewertet, einfach weil mich die Traumwelt-Sequenzen echt mitgerissen haben, aber es ist schon alles sehr holprig geworden und manchmal hätte man sich gewünscht, Gilliam hätte beim Inszenieren mal den einen oder anderen Baldrian-Tee zu sich genommenn.

tumulder hat gesagt…

Ja, die sind einfach nur schön, doch sie nutzen ja gar nichts, wenn Gilliam gleich drei Geschichten auf einmnal erzählen möchte.;)

Lausbub hat gesagt…

Find die Story echt geil. Hab kürzlich - meine ich .- nen Trailer gesehen. Ganz nett .. ma schauen wie es dann in den Kinos wird/ist!

luzifus hat gesagt…

Ohne spoilern zu wollen, aber insbesondere in dem Collin Farrell-Teil schienen nach einigen schrägen Anflügen zuvor mit Gilliam dann endgültig alle Pferde durchgegangen zu sein. 6,5 Punkte finde ich daher einen Notenpunkt zu hoch.

tumulder hat gesagt…

@luzifus
Kann man machen, obwohl ich das nicht ganz so eng sehe, denn Parnassus ist schon eine ganze Stufe besser als sein unsägliches Brothers Grimm Teil und drei Etagen höher als sein einfach nur verunglücktes Kindheitsdrama Tideland. Irgendwo muss man das ja auch belohnen.^^

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